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Logik des KioskromansEin zeitloses Bedürfnis nach Harmonie

Die Plots der Kioskromane überraschen nie – trotzdem werden jedes Jahr 50 Millionen Exemplare verkauft. Einem widersprüchlichen Phänomen auf der Spur – Teil 1 unserer Sommerserie.

von
Senta Keller

Überraschend? Nein, das sind Kioskromane nie. Mal sinkt Penny glückselig auf einen weissen Pelzmantel und lässt sich von ihrem Carter nach allen Regeln der Kunst verführen. Prinzessin Rebecca seufzt, von leisen Schauern durchflutet, als der charmante Geschäftsmann Logan sie in die Geheimnisse der Liebe einführt. Und die schüchterne Ärztin Lilian ist bereits im siebten Himmel, wenn ihr der erfolgreiche Chirurg Nicolas – wohlgemerkt immer noch siezend – ewige Liebe schwört. So weit die Variationen. Am Ende folgen die obligate Hochzeit und die Schwangerschaft.

In den Sommerferien haben wir wieder einmal Zeit, ein Buch zu lesen. Dass es manchmal auch ein Groschenroman sein darf, würde freilich niemand zugeben. Zu mies ist das Image der Trivialliteratur. Doch trotz aller Vorhersehbarkeit – gekauft werden die Kurzromane vom Kiosk immer noch. Und zwar ausschliesslich von Frauen.

Mit anderen Worten stets etwas Gleichbleibendes liefern

Zwar sinkt der Umsatz, der Bereich Romane entwickelt sich laut Kioskbetreiberin Valora aber besser als das Segment Presse. Das zeigt sich auch auf Verlagsseite. 2011 wurde alle vier Sekunden ein Romantik-Roman des Cora-Verlags verkauft. Das entspricht 15 Millionen Exemplaren jährlich. Der Kelter-Verlag, der auf Arzt- und Heimatromane setzt, verkauft jährlich 25 Millionen Heftchen, der Bastei-Verlag 9,5 Millionen Romane.

Keine schlechte Bilanz für Romane, die seit Jahrzehnten mit dem gleichen Plot funktionieren. Kennt man ein Heftchen, kennt man alle. Doch genau darin liegt der Erfolg: «Unsere Leserinnen wollen für kurze Zeit in eine heile Welt eintauchen und dem Alltag entschwinden. Sie erwarten Altbekanntes und ein Happy End», sagt Christian Durbahn, Produktmanager beim Cora-Verlag.

Das bestätigt auch Andreas Schäfer, Cheflektor beim Kelter-Verlag: «Die Leserinnen wollen diese Beständigkeit. Sie wissen genau, worauf sie sich einlassen, wenn sie einen unserer Romane kaufen. Sie haben ein zeitloses Bedürfnis nach Harmonie und einer schönen romantischen Atmosphäre. Gerade wenn es in der Welt viele Negativ-Schlagzeilen gibt, wird dieses Bedürfnis grösser. Das spüren wir.» Die Kunst sei es, in den Heftchen mit anderen Worten stets etwas Gleichbleibendes zu liefern.

«Frau, blond, lehnt an einem Baum»

Damit die Romane immer gleich bleiben und damit erfolgreich werden, müssen sich die Autoren an klare Regeln halten. Wichtig sind kurze Sätze und Kapitel. Statt weitschweifigen Reflexionen basieren die Geschichten auf Dialogen. Idealerweise begegnen sich Held und Heldin bereits auf der ersten Seite und sind in der Folge nie allzu lange voneinander getrennt.

Marion Schmid, die für den Bastei-Verlag Arztromane schreibt, sagte 2008 gegenüber der Frauenzeitschrift «Annabelle», sie erhalte vom Verlag oft Titel und Sujet des Coverfotos vorgegeben. Da stehe dann zum Beispiel: «Frau, blond, lehnt an einem Baum, blickt sehr traurig, hält ein Taschentuch.» Mit diesen Bildern im Kopf müsse man dann die Geschichte entwickeln.

Beim Cora-Verlag sind die Vorgaben weniger strikt. «Die Redaktion gibt gelegentlich Themen vor. Zum Beispiel, welchen Beruf die Heldin ausüben soll. Aber abgesehen davon sind die Autoren ziemlich frei», erklärt Durbahn. Die meisten würden die Inszenierung und die Reihen gut kennen und dadurch wissen, was die Leser erwarten. Keine Freiheit herrscht hingegen bei der Länge. Die Julia-Bücher haben immer genau 144 Seiten. «Wenn ein Roman zu lang ist, muss die Redaktion auch mal kürzen.»

Wie man zum Happy End gelangt, ist nicht planbar

Der Cora-Verlag verkauft mehrheitlich übersetzte Bücher aus dem englischsprachigen Raum. Doch auch deutsche Autoren schreiben inzwischen für den Romantik-Marktführer.

Für den Kelter-Verlag arbeiten 120 Stammautoren. 80 Prozent davon sind Frauen. Die meisten schreiben unter einem Pseudonym. Viele sind seit Jahrzehnten für die gleichen Romanreihen verantwortlich. «Wir arbeiten mit den Autoren zusammen, haben aber keine starren Richtlinien. Wichtig ist das Happy End. Wie man dorthin gelangt, ist nicht nach Schema F planbar.» Es gebe Autoren, die bereits 1500 Romane geschrieben hätten, erzählt Cheflektor Andreas Schäfer.

Sommerserie: Kioskroman

Kioskromane gelten als Trivialliteratur: Die Sprache ist einfach, der Plot immer gleich, das Happy End garantiert. Trotzdem sind Groschenromane seit vielen Jahren erfolgreich. In einer Sommerserie untersuchen wir dieser Form der Literatur, finden ihren Ursprung, treffen ihre Autoren und lernen ihre Regeln. Es folgt ein mehrteiliger Romantikroman, bei dem Sie entscheiden, wie die Geschichte weitergeht. Stimmen Sie bereits jetzt darüber ab, wo sich die beiden Hauptpersonen das erste Mal begegnen.

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