Innovationen«Eine gute Idee muss verrückt klingen»
Jede Oberfläche wird ein Monitor und der ganze Körper zum Game-Controller. Ideen wie Light Touch und Project Natal wurden von Microsofts Applied Sciences Group (ASG) mitentwickelt. ASG-Chef Steven Bathiche spricht im Interview mit 20 Minuten Online über Pläne, die ihrer Zeit voraus waren, und die Verschmelzung von Realität und virtueller Welt.
- von
- Henning Steier
Ob die noch in diesem Jahr erhältliche Ganzkörper-Steuerung für die Xbox 360 namens Project Natal, der in einem Touchscreen-Tisch untergebrachte PC Surface oder das Scroll-Rad auf der Tastatur: Bereits seit 1999 entwickeln die Forscher der Applied Sciences Group (ASG) Technologien für Microsoft. Seit ihrer Gründung vor elf Jahren ist Steven Bathiche dabei. War er anfangs noch allein, ist das Team mittlerweile auf zwölf Mitarbeiter angewachsen. Jüngste Entwicklung der Wissenschaftler ist das SideWinder X4 Keyboard. Was es mit dieser Tastatur für Gamer und Schnellschreiber auf sich hat und welche Ideen Bathiche sonst noch verfolgt, darüber hat 20 Minuten Online mit dem 34-Jährigen gesprochen.
20 Minuten Online: Warum beschäftigen sich Forscher wie Sie mit auf den ersten Blick langweiligen Eingabegeräten wie Tastaturen und Mäusen?
Steven Bathiche: Weil sie immer noch jeder Nutzer braucht und es noch vieles zu verbessern gibt. Nehmen wir unser aktuelles SideWinder X4 Keyboard...
..., für das Kunden ab Anfang März 80 Franken bezahlen sollen.
Dafür bekommen sie aber eine ausgereifte Anti-Ghosting-Technologie. Denn es lassen sich bis zu 26 Tasten gleichzeitig drücken, ohne dass es einen Signalfehler produziert. Das ist aber nicht nur für Gamer interessant, die auf zahlreiche Tastenkombinationen zurückgreifen, um beispielsweise ihren Avatar schiessen und gleichzeitig die Waffe wechseln lassen zu können. Auch für Schnellschreiber, die sich heutzutage wundern, warum ihre Tastatur fehlerhafte Buchstaben einzugeben scheint, obwohl sie definitiv nichts Falsches getippt haben, ist das Keyboard gedacht. Ausserdem kann man 18 Makrotasten für sechs Profile zuordnen und die Hintergrundbeleuchtung in drei Stufen einstellen.
Wichtigster Unterschied zu Wettbewerbern im Markt ist wohl die erwähnte Anti-Ghosting-Technologie. Wie funktioniert sie?
Grob verkürzt, haben wir unter jeder Taste Multitouch-Sensoren angebracht und weniger aufwändige Verbindungen zwischen den Keys hergestellt. Ausserdem scannt die Tastatur alle Tasten gleichzeitig auf Eingaben, wodurch wir die Latenzzeit, also die Verzögerung von acht auf zwei Millisekunden senken konnten. Für Spieler sind das Welten - die über Leben und Tod von Charakteren entscheiden können. Es gibt natürlich Anti-Ghosting-Tastaturen auf dem Markt, aber wir haben die Technologie in ein günstiges Keyboard gesteckt. Aber Ehre, wem Ehre gebührt: Die Idee kam von einem meiner Mitarbeiter, Paul Dietz, der zuvor mit dem Mitsubishi DiamondTouch einen der ersten Multitouch-Tische entwickelt hatte.
Wie bekommen Sie ausserdem Ihre Ideen?
Filme wie «Minority Report» können eine Inspirationsquelle sein. Ich bin oft dabei, wenn meine Freunde sich neue Gadgets kaufen. Und dann müssen sie mir ganz genau erzählen, was sie daran stört. Anschliessend beginnt das Nachdenken darüber, was man verbessern könnte. Mein Motto ist: Eine gute Idee muss verrückt klingen.
Auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas war Anfang Januar mit dem Light Touch von Light Blue Optics ein Beamer zu sehen, der jede Oberfläche zum 10-Zoll-Bildschirm machen soll. Wie sind Sie darauf gekommen?
Eine der Ideen, die wir während der Entwicklung unseres Touchscreen-Tisches hatten, war: Surface ohne Surface - also eine Kombination aus Rechner und Kamera, die in einem Projektor verbaut wäre und so eine berührungsempfindliche Oberfläche beispielsweise auf eine Wand projiziert.
Warum ist nichts daraus geworden?
2002 war die technologische Entwicklung noch nicht so weit. Daher ist es bislang bei einem Prototypen namens PlayAnywhere geblieben.
Im vergangenen Oktober gewannen Sie für fünf Maus-Konzepte den Best Paper Award des Symposiums User Interface Software and Technology in Victoria, British Columbia. Apple hatte mit der Magic Mouse aber bereits kurz zuvor mit der Magic Mouse Vergleichbares präsentiert. Wie viel Prozent Ihrer Entwicklungen werden letztendlich zu Produkten, die man im Laden kaufen kann?
Den exakten Anteil kann ich nicht nennen. Fakt ist, dass wir verglichen mit anderen Forschungsgruppen des Unternehmens relativ viele Technologien marktreif entwickeln. Es geht nun mal nicht immer um ganze Produkte wie das Office-Keyboard mit Scroll-Rad, sondern beispielsweise auch um die Touch-Unterstützung von Windows 7. Oft helfen uns scheinbare Geek-Projekte wie der vor vier Jahren auf dem Tech Fest gezeigte Babysitter-Teddybär, elementare Fragen zu beantworten. Denn ein Computer ohne Tastatur oder Maus - wie der Bär einer war - muss idealerweise dank Gesichtserkennung, Ortungssystemen und Mikrofonen Menschen erkennen und sich beispielsweise so positionieren, dass er ihre Stimme am besten aufnehmen und somit identifizieren kann. Ein Rechner sollte also erkennen: Woher kommt mein Befehl, wo ist mein Nutzer und was sagt er?
In einschlägigen Datenbanken sind zahlreiche Patente von Ihnen zu finden. Wie viele haben Sie insgesamt eingereicht?
Es dürften rund 50 sein.
Die meisten sind leicht verständlich - wie eine Docking-Station mit Magnet. Was aber verstehen Sie unter der so genannten «dynamischen Problemlösung für Spiele»?
Grob verkürzt, geht es darum, das Spielen vom Computer in die echte Welt zu bringen. So beginnt man beispielsweise ein Puzzle im Park zu lösen und beendet es auf dem Rechner.
Welcher war Ihr grösster Flop?
Ich weigere mich von Flops zu sprechen. Nehmen wir unsere Idee einer Maus, die man tragen kann, während man tippt und daher also die Hände ohne Unterbrechung auf der Tastatur lassen kann. Um ehrlich zu sein: Wir verfolgen die Idee gerade nicht weiter, was aber nicht heisst, dass sie gestorben ist. Manchmal ist ein Konzept seiner Zeit voraus.
Zum Beispiel?
Ich denke an das Microsoft Phone.
Moment, seit Jahren gibt es Gerüchte, Ihr Unternehmen wolle ein eigenes Handy auf den Markt bringen und Sie haben es in der Schublade?
Nicht ganz. Das MS Phone liess sich mit dem Rechner verbinden, bot Spracherkennung und brachte eine Software mit, dank der man seine Nachrichten über den Rechner verwalten konnte - und zwar bereits 1996, als es noch kein Breitband-Internet gab und VoiP-Dienste wie Skype noch nicht einmal geplant waren.