MigrationsexperteEine Million Menschen wollen 2023 Asyl in Europa
Das sagt Migrationsexperte Eduard Gnesa. Weniger als die Hälfte ist schutzbedürftig, der Rest müsste zurück ins Heimatland. Wieso das nicht immer klappt und was die Schweiz besser macht.
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Bis Ende August kamen rund 230’000 Menschen über die Balkan- oder die Mittelmeerroute nach Europa. Zählt man die osteuropäische Route dazu, kommt man laut Migrationsexperte Gnesa auf 300’000 Menschen, die dieses Jahr schon illegal nach Europa gekommen sind.
Darum gehts
Gegen 300’000 Menschen sind dieses Jahr schon illegal nach Europa geflüchtet.
Bis Ende Juni wurden in EU-Ländern, der Schweiz und Norwegen 519’000 Asylgesuche gestellt – laut Migrationsexperte Eduard Gnesa werden es bis Ende Jahr über eine Million sein.
20 Minuten zeigt auf, woher die Menschen kommen, wieso sie kommen, wohin sie wollen – und ob sie ein Recht haben, hier zu bleiben.
Auch wenn in der Schweiz nicht alles perfekt läuft, funktioniert das Asylsystem hier besser als in der EU, sagt Gnesa – auch, was die Rückführungen betrifft.
Durch die Ankunft von Tausenden Geflüchteten auf Lampedusa spricht ganz Europa über Migration und Asyl. Laut Eduard Gnesa* werden 2023 über eine Million Menschen in Europa Asyl beantragen.
Wie viele Menschen flohen 2023 schon nach Europa?
Über die Mittelmeerroute laut Frontex rund 160’000, über den Balkan mehr als 70’000 (Stand Ende August). «Zählt man die osteuropäische Route dazu, sind 2023 bisher rund 300’000 Personen irregulär nach Europa gekommen», sagt Gnesa.
Woher kommen die Menschen?
Die wichtigsten Herkunftsländer waren laut Gnesa in den letzten Jahren Syrien, Afghanistan und die Türkei. Venezuela, Kolumbien, Guinea und die Elfenbeinküste werden zunehmend wichtiger.
519’000 Menschen haben bis Ende Juni dieses Jahres in Europa Asyl beantragt.
Wie viele Asylgesuche wurden gestellt?
In EU-Staaten plus Norwegen und der Schweiz wurden bis Ende Juni 2023 519’000 Asylgesuche gestellt. Bis Ende Jahr dürften es laut Gnesa mehr als eine Million Asylgesuche sein. Zum Vergleich: Im Spitzenjahr 2015 waren es 1,4 Millionen Asylgesuche, letztes Jahr rund 960’000.
Wieso fliehen die Menschen aus diesen Ländern?
In den Herkunftsländern sind die Hauptgründe laut Gnesa Konflikte, das Versagen von Regierungen, Armut und Perspektivlosigkeit. Dazu kämen indirekte Ursachen wie die Auswirkungen des Klimawandels und der demografische Druck. Auch die Folgen von Covid 19 hätten zu vermehrter Flucht geführt.
Rund drei Prozent der Asylgesuche wurden in der Schweiz gestellt. Dieser Wert ist laut Gnesa überraschend stabil.
Wohin gehen die Menschen in Europa?
Hier muss laut Gnesa unterschieden werden: «Von denen, die sich auf die Staaten Europas verteilen, ohne ein Asylgesuch zu stellen und sich dort irregulär aufhalten, wissen wir es nicht.» Am meisten Asylgesuche wurden im ersten Halbjahr 2023 in folgenden Ländern gestellt:
Deutschland (30 Prozent)
Spanien (17 Prozent)
Frankreich (16 Prozent)
Italien (12 Prozent)
Rund drei Prozent der Menschen haben in der Schweiz einen Asylantrag gestellt. «Dieser Wert war über die letzten drei Jahre überraschend konstant», sagt Gnesa.
Geflüchtete kommen erschöpft am Hafen von Lampedusa an. 20 Minuten berichtet vor Ort.
Haben die Asylsuchenden ein Recht, hierzubleiben?
Das ist sehr unterschiedlich und drückt sich in den Schutzquoten aus. «Menschen aus Syrien waren im EU-Raum über 90 Prozent schutzbedürftig, jene aus Bangladesch in vier Prozent der Fälle», sagt Gnesa. Auch Menschen aus Ländern wie Afghanistan, Syrien und Irak sind in hohem Masse schutzbedürftig. Aus Bangladesch hingegen finde Arbeitsmigration statt, die Menschen flüchteten vorwiegend aus wirtschaftlichen Gründen. In den EU-EFTA-Staaten betrug die Schutzquote im ersten Halbjahr 2023 41 Prozent, in der Schweiz rund 50 Prozent.
In der EU wurden letztes Jahr 23 Prozent der abgewiesenen Asylsuchenden zurückgeführt, in der Schweiz 60 Prozent.
Wie viele Menschen bleiben hier, obwohl sie nicht schutzbedürftig sind?
Auch diese Zahlen schwanken stark. «EU-weit wurden letztes Jahr 23 Prozent der abgewiesenen Asylsuchenden tatsächlich in ihre Herkunftsländer zurückgeführt. In der Schweiz waren es deutlich mehr, nämlich 60 Prozent», sagt Gnesa.
Wie verteilt Europa die Asylsuchenden?
Das ist eines der grossen Probleme: Der Solidaritätsmechanismus funktioniert nicht und auch das Dublin-System ist stark beeinträchtigt. Darum stellen so viele Menschen in Deutschland ihren Asylantrag. «Die Verfahren dort dauern teils jahrelang und können vor verschiedenen Gerichten angefochten werden. Das führt zu einem sogenannten Pull-Effekt: Die Geflüchteten wollen nach Deutschland.»
«Insgesamt funktioniert das Asylsystem in der Schweiz besser als das europäische.»
Was macht die Schweiz besser?
Laut Gnesa mehrere Dinge: «Die Verfahren hier sind schnell, aber fair. Hier kann man nicht darauf spekulieren, jahrelang mit guten Fürsorgeleistungen im Land bleiben zu dürfen, weil die Verfahren verschleppt werden.» Dazu kommt: «Die Schweiz hat mit mehreren Ländern, auch mit afrikanischen Staaten, Migrationspartnerschaften inklusive Rückübernahmeabkommen. Sprich: Wird das Asylgesuch abgelehnt, können wir die Menschen auch wirklich dahin zurückführen. Darum ist diese Quote in der Schweiz höher.»
Läuft hier also alles perfekt?
«Natürlich nicht», sagt Gnesa. Auch hier gebe es teils Probleme mit Kriminalität und gegen autokratische Staaten, die sich konsequent weigern, abgewiesene Asylsuchende zurückzunehmen, könne auch die Schweiz wenig machen. «Aber insgesamt funktioniert unser Asylsystem besser als das europäische», ist Gnesa überzeugt.
Eduard Gnesa
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