Streep als ThatcherEisern verdämmerte sie in der Demenz
Margaret Thatcher liess niemanden kalt. Das zeigte die Kontroverse um den Film «The Iron Lady», für den Hauptdarstellerin Meryl Streep 2012 ihren dritten Oscar erhielt.
- von
- Peter Blunschi
Die alte, sichtlich verwirrte Dame wundert sich: «49 Pence für ein halbes Pint Milch?» Sie klaubt das Geld aus dem Portemonnaie. Weder der Verkäufer noch die anderen Kunden im Lebensmittelladen erkennen die Frau, die einst Grossbritannien umgekrempelt hat. Und der es trotz zunehmender geistiger Umnachtung gelungen ist, ihren Bewachern zu entwischen.
Mit dieser Szene beginnt der Film «The Iron Lady», für den Meryl Streep letztes Jahr ihren dritten Oscar bekommen hat. Vollkommen zu Recht, denn gerade ihre Darstellung der an Alzheimer erkrankten Margaret Thatcher ist grandios. Fast bis zur Unkenntlichkeit geschminkt, verkörpert sie eine fragile Ex-Premierministerin, die mit dem Geist ihres toten Ehemannes Denis (Jim Broadbent) spricht und sich in Erinnerungen an ihre glanzvolle Karriere flüchtet.
Demenz spielt zu grosse Rolle
Die Darstellung der dementen Baroness Thatcher nimmt im Film von Regisseurin Phyllida Lloyd (die mit Streep schon das Abba-Musical «Mamma Mia» verfilmt hat) breiten Raum ein. Ihr Werdegang von der Tochter eines Lebensmittelhändlers (siehe die Eröffnungsszene!) über die ehrgeizige Jungpolitikern bis zum Sturz durch ihre eigenen Minister vor mehr als 20 Jahren werden nur episodenhaft eingestreut. In Grossbritannien hat diese Tatsache zu heftigen Diskussionen geführt.
Die Gräben gingen quer durch die politischen Lager. Während einstige Thatcher-Hasser fast schon Mitleid empfanden mit der langsam verdämmernden «Eisernen Lady», äusserten sich konservative Politiker erbost. Der Abgeordnete Rob Wilson klagte über die «verletzende und unfaire» Darstellung Thatchers und forderte eine Debatte im Unterhaus über «Respekt, gute Manieren und guten Geschmack». Selbst Premierminister David Cameron meinte, Thatchers Demenz spiele eine zu grosse Rolle in dem Film, während ihre Leistungen zu kurz kämen.
Zu unkritische Darstellung
Andere hatten grundsätzlich Mühe: Margaret Thatcher sei nie so hysterisch und emotional gewesen, wie sie von Meryl Streep porträtiert werde, beschwerte sich Norman Tebbit, ihr ehemals engster Vertrauter und «Chef-Einpeitscher», in einem Beitrag für den «Daily Telegraph». Gegner von Thatcher wiederum monierten, der Film sei viel zu unkritisch. Die Kehrseiten ihrer Politik und die vielen Opfer seien so gut wie kein Thema.
Die Kritik hat ihre Berechtigung, denn Phyllida Lloyds Porträt ist kaum mehr als eine konventionelle Heldinnen-Darstellung, die gegen Ende erst noch in plumpen Kitsch versackt. Auf dünnem Eis bewegt sich die Regisseurin zudem mit der Andeutung, Thatchers zunehmender Starrsinn und ihre Selbstherrlichkeit, die 1990 nach mehr als elf Jahren im Amt zu ihrer Entmachtung als Premierministerin führten, seien frühe Symptome ihrer Alzheimer-Erkrankung gewesen.
Pläne für Staatsbegräbnis
Kein Thema ist auch ihre zwiespältige Bilanz. Zwar bescherte Margaret Thatcher dem Land mit Deregulierungen, Privatisierungen und der Entmachtung der Gewerkschaften einen Wirtschaftsboom. Der Preis dafür waren jedoch eine De-Industrialisierung der Insel und eine Entfesselung der Finanzmärkte, die wesentlich zur Krise von 2008 führte. Von dieser hat sich Grossbritannien bis heute nicht annähernd erholt – obwohl oder vielleicht gerade weil die heutige konservative Regierung wie einst ihr Idol eine eiserne Sparpolitik durchzieht.
Margaret Thatcher liess niemanden kalt. Dies zeigten letztes Jahr auch die heftigen Reaktionen auf angebliche Pläne der Regierung, der Iron Lady ein Staatsbegräbnis auszurichten. Eine solche Ehre wird Nicht-Royals sehr selten gewährt. Im 20. Jahrhundert erhielt nur ein Regierungschef ein Staatsbegräbnis, der Kriegspremier Winston Churchill. Dieser einte jedoch das Land, während Thatcher es spaltete. Selbst konservative Medien mahnen deshalb zur Zurückhaltung: Es gebe in Grossbritannien immer noch zu viele Menschen, «deren Leben sie zerstört hat und die sie dafür hassen», so der «Daily Telegraph».