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Eisfeld gibt 5000 Jahre alte Gegenstände preis

Ein schmelzendes Eisfeld hat im Berner Oberland einmalige vor- und frühgeschichtliche Funde ab dem dritten Jahrtausend vor Christus freigegeben.

Sie belegen einen bisher unbekannten Passübergang zwischen den Kantonen Bern und Wallis.

Auf dem 2756 Meter hohen Schnidejoch zwischen Lenk BE und Sitten VS kamen unter anderem prähistorische Kliedungsstücke, Köcher und Pfeile, bronzene Gewandnadeln sowie römische Schuhnägel zum Vorschein.

Die Funde seien in ihrer Art für die Schweiz einmalig und in Europa nur mit der 1991 entdeckten Südtiroler Gletschermumie «Ötzi» vergleichbar, hiess es an einer Medienkonferenz des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern (ADB) vom Freitag.

300 Fundstücke

Ein Ehepaar aus Thun hatte im Herbst 2003 auf einer Wanderung ein Köcherfragment aus Birkenrinde gefunden und den Kantonsarchäologen übergeben. Datierungen mit der Radiokarbonmethode ergaben ein Alter von fast 5000 Jahren.

Das rasch schmelzende Eisfeld wurde seither von den Archäologen minutiös abgesucht. Sie fanden mehr als 300 Überreste von Kleidern und Ausrüstungsgegenständen.

«Ötzi»-Umhang

Aus der Jungsteinzeit zum Vorschein kamen etwa Schuhfragmente, ein ledernes Hosenbein oder Reste eines Umhanges aus Bast, wie ihn auch «Ötzi» getragen hat. Die Funde sind für die Wissenschafter besonders wertvoll, weil bei anderen Fundstellen aus der Steinzeit organische Materialien die Zeit oft nicht überdauert haben.

Wegen der grossen Zahl der Funde glauben die Wissenschafter nicht an einen einzelnen Bergunfall. Vielmehr vermute man einen regen Verkehr über den Passübergang bereits um 3000 vor Christus, sagte Peter Suter, der Leiter Ur- und Frühgeschichte des ADB. Verschiedene Funde wiesen auf einen Warentransport hin, unter anderem ein zusammengenähter Holzbehälter.

Eine mit Ritzlinen verzierte Nadel aus der frühen Bronzezeit untermauert bisherige Vermutungen, wonach damals eine direkte Verbindung zwischen dem Wallis und dem Berner Oberland bestanden hat. Änhliche Nadeln wurden auch in Gräbern in Ayent gefunden, einem Dorf am Südhang des Schnidejochs.

Römische Schuhnägel

Aus der Römerzeit stammt der Teil eines Wollgürtels, der vermutlich zu einer Tunika gehörte. Gefunden wurden auch zahlreiche römische Schuhnägel. Ob sie bei der Passüberquerung von Truppen oder von Säumern hinterlassen wurden, ist noch unklar. Aus dem 14. oder 15. Jahrhundert stammt ein Teil eines mittelalterlichen Schuhs.

Mit der Gesamtheit der Funde kann laut Suter die 5000-jährige Geschichte eines bisher unbekannten Passübergangs beschrieben werden. Der Pass sei in der Jungsteinzeit, der Bronzezeit sowie in der Römerzeit und im Mittelalter vermutlich rege benutzt worden, mit Unterbrüchen in dazwischenliegenden kälteren Perioden. Die Funde lieferten damit auch wichtige Erkenntnisse zur Klimageschichte.

Weitere Funde erwartet

Die Wissenschafter gehen davon aus, dass das noch nicht vollständig geschmolzene Eisfeld nächsten Sommer weitere Überreste preisgibt. Dabei sei es durchaus möglich, dass auch menschliche Überreste zum Vorschein kämen. Solche wurden bisher keine gefunden.

Die Analyse der Funde ist zur Zeit noch im Gang. In welcher Form sie dereinst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, ist noch unklar. (sda)

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