Kampusch-Biografie – Teil 2: «Er schrubbte mich wie ein Auto»

Aktualisiert

Kampusch-Biografie – Teil 2«Er schrubbte mich wie ein Auto»

Was, wenn da das Bedürfnis nach Zärtlichkeit ist? Und was, wenn der einzige, der es befriedigen könnte, der Peiniger ist? Natascha Kampusch erzählt.

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«Als die Tür ins Schloss fiel, begann ich zu weinen. Ich war allein, eingesperrt in einem kahlen Raum irgendwo unter der Erde», beginnt Natascha Kampusch die Beschreibung ihres achtjährigen Martyriums. Ihr Entführer Wolfgang Priklopil hatte sie Stunden zuvor auf offener Strasse entführt und nun in seinem Keller eingesperrt. Im fünf Quadratmeter grossen «Käfig» läuft das Mädchen «hin und her, wie ein Tiger».

Die Dunkelheit macht ihr Angst. Sie bittet Priklopil, das Licht brennen zu lassen. Doch die dauernde Helligkeit ist «fast so schlimm» wie die totale Dunkelheit. In Auszügen, die die «Bild»-Zeitung täglich veröffentlicht, erzählt Kampusch, wie am Schluss das «grelle Licht» in ihren Augen wehtat. «Im künstlichen Licht des hermetisch abgeriegelten Kellers gab es keinen Unterschied mehr zwischen Tag und Nacht.»

Kampusch braucht Zärtlichkeit

Besonders eindrücklich ist Kampusch' Bedürfnis nach Zärtlichkeit – auch wenn diese von ihrem Peiniger kommen muss. «Als der Täter einmal ins Verlies kam, bat ich ihn, bei mir zu bleiben, mich ordentlich ins Bett zu bringen und mir eine Gutenachtgeschichte zu erzählen. Ich wünschte mir von ihm sogar einen Gutenachtkuss, wie meine Mutter ihn mir gab. Alles, um die Illusion der Normalität zu wahren.»

«Aus meiner Schultasche holte er ein Leseheft, legte mich auf die Matratze, deckte mich mit einer dünnen Decke zu. Dann begann er zu lesen: 'Die Prinzessin auf der Erbse'. Am Ende gab er mir einen Kuss auf die Stirn.» Priklopil habe aber ihre Bitte nach Zuwendung zum Teil auch übertrieben wahrgenommen. Er behandelte die Achtjährige wie ein Kleinkind, putzte ihr manchmal sogar die Zähne, «wie einer Dreijährigen».

Der Entführer pflegt sie «wie ein Auto»

Priklopil brachte der kleinen Natascha zweimal pro Tag etwas zu Essen. «Morgens brachte er mir eine Tasse Tee oder Kakao, ein Stück Kuchen oder eine Schale Müsli. Zu Mittag oder am Abend kam er mit Tomatensalat und Wurstbroten oder einer warmen Mahlzeit, die er mit mir teilte.» Er badete das Mädchen in einem Doppel-Waschbecken im Verlies. Weil es unten kein Warmwasser hatte, brachte er «mir warmes Wasser in Plastikflaschen nach unten. Ich musste mich ausziehen, mich in eines der Becken setzen und die Füsse in das andere stellen.»

Der Entführer «schrubbte» die nackte Natascha ab «wie ein Auto. Es lag weder etwas Zärtliches noch etwas Anzügliches in seinen Gesten. Er pflegte mich, wie man ein Haushaltsgerät instand hält.» Nach ein paar Monaten im Verlies bat sie Priklopil zum ersten Mal, «mich zu umarmen. Ich brauchte den Trost einer Berührung, das Gefühl menschlicher Wärme. Er hatte grosse Probleme mit Nähe, mit Berührungen. Aber nach einigen Versuchen schafften wir es, einen Modus zu finden.»

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