«Betrug, Lüge» - HSG wehrt sich gegen Yale-Professor

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Yale-HSGErbitterter Streit um «russlandfreundliche Studie»

Die Universität Yale kritisiert eine Studie der HSG zur Frage, wie viele Firmen ihr Russland-Geschäft aufgegeben haben. Jetzt prüft die HSG rechtliche Schritte.

von
Claudia Blumer
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Seit Kriegsbeginn führen Forschende eine Liste mit Firmen, die sich aus Russland zurückgezogen haben: Universität Yale, New Haven, USA.

Seit Kriegsbeginn führen Forschende eine Liste mit Firmen, die sich aus Russland zurückgezogen haben: Universität Yale, New Haven, USA.

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Die Universität St. Gallen und die Wirtschaftshochschule IMD haben zu dem Thema eine Studie erstellt. Sie ist jedoch nach anderen Methoden vorgegangen als die Forschenden der Yale-Universität. Im Bild: Universität St. Gallen.

Die Universität St. Gallen und die Wirtschaftshochschule IMD haben zu dem Thema eine Studie erstellt. Sie ist jedoch nach anderen Methoden vorgegangen als die Forschenden der Yale-Universität. Im Bild: Universität St. Gallen.

20min/Ammar Jusufi

Darum gehts

  • Die US-Universität Yale hat im März eine Liste mit über 1000 Firmen publiziert, die sich aus Russland zurückgezogen hätten.

  • Eine Studie von HSG und IMD kommt zu einem anderen Resultat. Demnach haben sich nur 120 Firmen aus Russland zurückgezogen.

  • Die HSG habe eine Datenbasis genommen, die keinen Sinn mache, sagt der Yale-Professor und spart nicht mit harten Vorwürfen.

  • Nun prüft die HSG rechtliche Schritte gegen ihn.

Yale-Professor Jeffrey Sonnenfeld spricht im Interview mit SRF von einem «akademischen Betrug» und einer «akademischen Lüge». Es geht um eine kürzlich publizierte Studie von Forschenden der Universität St. Gallen und der Wirtschaftshochschule IMD, die untersucht hat, wie viele Firmen aus EU- oder G7-Ländern sich seit Kriegsbeginn aus Russland zurückgezogen haben (siehe Box). Das Resultat: nur 8,5 Prozent, in absoluten Zahlen 120.

Zu einem anderen Resultat kommt die Universität Yale, die in einer Ende Februar 2022 erstmals publizierten und seither nachgeführten Liste mittlerweile über 1000 Firmen aus mehreren Kontinenten zählt, die ihre Geschäftstätigkeit in Russland eingestellt haben.

Wie kommt es zu dieser grossen Differenz? Laut dem zuständigen Yale-Wirtschaftsprofessor Jeffrey Sonnenfeld macht die Datengrundlage, welche die HSG und IMD für ihre Studie benutzt haben, keinen Sinn. Hunderte russische Firmen und Personen seien in diesen Daten enthalten, sagt er. Die Studie beantworte allenfalls die Frage, ob russische Firmen Russland verlassen haben – sei aber nicht aussagekräftig in Bezug auf das Verhalten von westlichen Firmen. Die Studie sei «irreführend», es handle sich um «Putin-Propaganda», sagt Sonnenfeld.

HSG wehrt sich

Die HSG hat sich auf Firmen aus der EU und G7 beschränkt. Das habe mit der Datengrundlage zu tun und damit, dass man sich auf Staaten beschränken wollte, welche die Sanktionen gegen Russland als Erste ergriffen hatten, sagt HSG-Sprecher Adrian Sulzer. «Wichtig ist, dass Definition, Methodik und Datengrundlage genau beschrieben und öffentlich zugänglich sind. Andere Forschende können das Resultat jederzeit überprüfen.»

Dass Firmen in Besitz von Russen in den Daten sein können, dementiert die HSG nicht. Man habe geschaut, wo der Eigentümer ansässig sei, dabei könne es sich um Personen oder Muttergesellschaften handeln (siehe Box).

Die Vorwürfe «akademische Lüge» und «akademischer Betrug» will die HSG nicht auf sich sitzen lassen. Sie prüft rechtliche Schritte gegen Professor Sonnenfeld, wie Sprecher Adrian Sulzer sagt. Auch bei SRF hat die HSG interveniert. «Wir sind schockiert, dass das SRF solche unbelegten und rufschädigenden Vorwürfe unkritisch verbreitet. Zudem enthält der Bericht faktische Fehler, deren Berichtigung wir verlangen. Wir sind dazu mit SRF im Gespräch und behalten uns rechtliche Schritte vor», sagt Sulzer. SRF bestätigt, dass ein Gesuch um Richtigstellung eingegangen sei, welches nun geprüft werde.

Vorwurf «Putin-Propaganda»

Sonnenfeld kritisiert auch, dass die HSG-IMD-Studie nur auf jene Firmen abstellt, die ihre Anlagen in Russland verkauft haben – es sei schwierig, in Russland überhaupt noch eine Firma zu verkaufen. Dazu sagt Adrian Sulzer: «Die Autoren haben sich auf abgeschlossene Verkäufe von Beteiligungen und Tochtergesellschaften konzentriert, weil diese am besten zu verifizieren sind.» Versprechungen von Firmen, Russland zu verlassen, genügten ihnen nicht – sie hätten Beweise finden wollen.

Der Vorwurf der Putin-Propaganda sei absurd: Weder hätten die Studienautoren Verbindungen zum russischen Regierungsapparat, noch hätten sie ihre Daten aus russischen Quellen. Zudem habe die Schweizer Studie international eine Reihe russlandkritischer Artikel ausgelöst, in denen die Frage aufgeworfen wurde, warum gewisse Firmen in Russland tätig bleiben.

Auch die School of Economics in Kiew kritisiert die HSG-IMD-Studie als irreführend und manipulativ. «Dass unterschiedliche Studien mit verschiedenen Daten, Definitionen und Bezugsgrössen zu unterschiedlichen Resultaten führen, liegt auf der Hand», sagt Adrian Sulzer. «Wir würden uns aber eine sachliche und akademische Auseinandersetzung dazu wünschen.»

Unterschiedliche Datengrundlagen

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