«Es war eine kranke Tat. Ich will nichts beschönigen»
Ein behinderter Mann, der einen Mitbewohner in einem Heim in St. Gallen erwürgt hat, soll wegen Schuldunfähigkeit straffrei bleiben.
Der Verteidiger kritisierte die mangelnde Betreuung im Heim. Das Gerichtsurteil steht noch aus. Der 25-jährige Angeschuldigte stand am Freitag vor dem Kreisgericht St. Gallen. Er hatte im Mai 2005 einen 55-jährigen Mitbewohner erwürgt. Dem tragischen Tod des Behinderten in der Cafeteria eines St. Galler Behindertenheims war ein nächtlicher Streit um einen Abfallkübel mit Zigarettenkippen vorausgegangen.
Der Angeschuldigte und ein weiterer Mitbewohner verdächtigten das spätere Opfer, den Eimer versteckt zu haben. Die unverständliche Antwort des geistig schwer behinderten Mannes brachte die beiden andern in Rage.
Der Angeschuldigte, der im Rollstuhl sitzt, zerrte den 55-Jährigen zu Boden. Er und sein Kollege schlugen mit Birkenstock-Schuhen auf den Mann ein und peitschten ihn mit seinem Pullover.
Der Angeschuldigte würgte das Opfer, bis es blau anlief. Als die beiden Behinderten merkten, dass sich der Mann nicht mehr regte, machten sie eine Mund-zu-Mund-Beatmung. Als der herbeigerufene Pfleger kam, war der Mann tot.
«Kranke Tat»
Der junge Mann ist geständig. Bei der Befragung vor Gericht sagte der Angeschuldigte, er habe damals eine riesige Wut auf den Mitbewohner gehabt. «Es war eine kranke Tat. Ich will nichts beschönigen», sagte der 25-Jährige. Er bereue, dass seinetwegen ein Mensch gestorben sei.
Vom Verteidiger und der Familie des Angeschuldigten wurden auch Vorwürfe gegen das Behindertenheim laut. Die Betreuung habe nach dem Laissez-faire-Prinzip funktioniert. Der junge Mann hätte aber feste Strukturen und einen sozialpädagogischen Rahmen gebraucht.
Vorwürfe gegen Heim
In der Tatnacht seien die Behinderten völlig ungenügend betreut gewesen. Der Angeschuldigte hätte längst im Bett sein müssen. Die Bettruhe sei aber vom einzigen Pfleger nicht durchgesetzt worden. Der Angeschuldigte sei völlig überfordert gewesen. Er habe die Kontrolle über sich verloren.
Nicht schuldfähig
Gemäss Antrag von Anklage und Verteidigung soll der körperlich und geistig Behinderte vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen werden. Wegen seiner Behinderung sei der junge Mann nicht schuldfähig. Gemäss Gutachtern und Betreuern ist der junge Mann normalerweise nicht aggressiv.
Der Angeschuldigte brauche pädagogische Unterstützung, mehr Kontrolle und eine Psychotherapie. Diese umfassende Betreuung soll als richterliche Massnahme angeordnet werden. Der Behinderte, der zur Zeit bei seiner Mutter wohnt, soll in jenes Heim eintreten, in welchem er jetzt arbeitet.
(sda)