«Brexit»: EU-Referendum spaltet Regierung in London

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«Brexit»EU-Referendum spaltet Regierung in London

Rückschlag für David Cameron: Der Bürgermeister von London will die «Brexit»-Befürworter unterstützen. Damit ist Boris Johnson nicht der einzige.

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Prominenter EU-Gegner: Londons Bürgermeister Boris Johnson. (21. Februar 2016)

Prominenter EU-Gegner: Londons Bürgermeister Boris Johnson. (21. Februar 2016)

AFP/Niklas Halle'n

Schicksals-Wahl in Grossbritannien: Am 23. Juni stimmen die Briten darüber ab, ob sie in der EU bleiben oder austreten wollen. Premierminister David Cameron eröffnete die Abstimmungs-Kampagne für das EU-Referendum, dessen Ausgang völlig offen ist.

Er warb am Sonntag im Fernsehsender BBC, Grossbritannien sei in der EU «sicherer, stärker und wohlhabender». Ein Austritt wäre ein Sprung ins Ungewisse. Grundlage seines Engagements ist ein beim EU-Gipfel ausgehandelter «Sonderstatus» für Grossbritannien.

Sechs Dissidenten im Kabinett

Bereits an diesem Montag wird das Londoner Unterhaus erstmals über die historische «Brexit«-Abstimmung debattieren. Die Regierung ist tief zerstritten. Mehrere Minister kündigten Widerstand gegen Camerons Linie an und plädierten für den Ausstieg aus der EU.

Der Sender BBC sprach von sechs Dissidenten im Kabinett. Cameron machte aber klar, dass er sie gewähren lässt und nicht auf Kabinettsdisziplin besteht.

«Wir gehen auf eine der grössten Entscheidungen zu, die dieses Land zu unseren Lebzeiten trifft», betonte Cameron nach einer Kabinettssondersitzung am Samstag. Am Vorabend hatte sich der EU-Gipfel in Brüssel nach zähem Ringen auf die von Grossbritannien geforderten Zugeständnisse geeinigt. Vor allem die Vereinbarung, dass EU-Zuwanderer zeitweise weniger Sozialleistungen bekommen sollen, war umstritten.

Ausgang ungewiss

Eine von der Zeitung «Mail on Sunday» veröffentlichte Umfrage ergab, dass 48 Prozent der Befragten gegen einen «Brexit» waren, 33 dafür und 19 Prozent unentschieden. Umfragen im Januar liefen eher auf einen Gleichstand beider Lager hinaus.

Allerdings haben sich viele Briten noch nicht entschieden. Kommentatoren meinten am Sonntag: Stimmen die Briten für einen Austritt, muss Cameron zurücktreten. Als bislang prominentester «Brexit«-Befürworter outete sich Justizminister Michael Gove. Das Land sei ausserhalb der EU «freier, fairer und besser dran», betonte er. Gove galt bisher als enger Vertrauter und Freund Camerons.

Schwerer Schlag

Auch der populäre Bürgermeister von London, Boris Johnson, verkündete am Sonntag seine Unterstützung für das Lager der EU-Gegner. Johnson machte zugleich deutlich, dass er aber nicht an Fernsehrunden teilnehmen werde, in denen er sich gegen seinen eigenen Premierminister stellen müsste.

Für Cameron ist der Einsatz Johnsons für einen Austritt aus der EU ein schwerer Schlag. Der konservative Premierminister hatte noch am Sonntag an den Bürgermeister appelliert, dass Grossbritannien in der EU stärker und sicherer sei.

Der Chef der rechtspopulistischen Ukip-Partei, Nigel Farage, nannte den Brüsseler Kompromiss «wahrhaft erbärmlich». Der 23. Juni sei eine«goldene Gelegenheit» für die Briten, die «Kontrolle über unser Land zurückzugewinnen».

Oppositionschef Jeremy Corbyn warf Cameron zwar vor, das Referendum nur aus parteitaktischen Gründen abzuhalten. Seine Labour-Partei plädiere aber für einen Verbleib in der Gemeinschaft. Die schottische Nationalpartei SNP, die drittstärkste Kraft im Westminster-Parlament, ist ebenfalls für Verbleib.

Zähes Ringen in Brüssel

Der EU-Gipfel hatte sich nach zweitägigen, äusserst zähen Verhandlungen am Freitagabend geeinigt. Nach Einschätzung von Diplomaten wurde dadurch eine existenzbedrohende Krise zumindest fürs Erste abgewendet: Ein Scheitern hätte mitten in der Flüchtlingskrise ein verheerendes Signal gesendet.

«Die Einigung ist gut, die Einigung ist juristisch solide, die Einigung ist in hohem Masse ausgeglichen», sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel begrüsste die Abmachung, nannte sie aber zugleich einen «Kraftakt». «Nun wünsche ich David Cameron das Allerbeste», meinte Merkel.

Sollten die Briten tatsächlich für den «Brexit» stimmen, droht der EU eine Krise mit unabsehbaren Folgen. Bisher ist in der Gemeinschafts-Geschichte noch nie ein Land ausgetreten. London trat 1973 der Gemeinschaft bei – damals hiess sie noch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Bereits 1975 gab es ein Referendum, damals stimmten die Briten mit breiter Mehrheit für den Verbleib. (mlr/sda)

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