Bildung statt GefängnisEx-Taliban drücken die Schulbank
Sie töteten im Namen Gottes, bis sie verhaftet wurden. Eine Schule für ehemalige Kindersoldaten der Taliban soll die traumatisierten Jugen wieder auf die richtige Spur bringen.
- von
- Kathy Gannon
- AP

Ehemalige Taliban-Soldaten drücken die Schulbank.
Das Bild ist erschreckend: Die Regentropfen haben die Form von Gewehrkugeln, die Äste sehen aus wie blutende Hälse.
Die Zeichnung stammt von einem Kind, einem pakistanischen Jungen, den die Taliban rekrutiert hatten. Zusammen mit mehr als 120 anderen geht er inzwischen auf eine Schule der Streitkräfte, die den Kindern einen Weg jenseits der Brutalität und des Fanatismus der Extremisten aufzeigen will. Die Einrichtung bietet Psychotherapie und eine Ausbildung - ein Privileg in einem Land, im dem die Hälfte der Einwohner Analphabeten sind.
Unterrichtet werden die Jungen in Naturwissenschaften, Lesen, Mathematik, dem Umgang mit Computern und Religion. An den weissen Wänden der Schule mahnen Suren aus dem Koran zu einem Weg des Friedens und warnen vor ewiger Verdammnis für alle, die töten.
Der Gegensatz zur Auslegung des Korans, die den Jungen von den Taliban vermittelt wurde, könnte nicht grösser sein: Ausserstande selbst zu lesen, sei ihnen erzählt worden, das heilige Buch des Islams entlarve die pakistanischen Streitkräfte als Feind, der von einem christlich dominierten Amerika und dem hinduistisch geprägten Indien kontrolliert werde, sagt die Neuropsychiaterin Feriha Peracha. «Vor diesem Hintergrund befahlen sie ihnen, die Soldaten zu töten.»
Mit aufgestauter Wut umgehen
Viele der Jungen sind Peracha zufolge tief gestört und traumatisiert. Nun versucht die Psychiaterin, die Kinder und Jugendlichen dazu zu bringen, mit ihrer aufgestauten Wut umzugehen. Die Zeichnung mit den munitionsähnlichen Regentropfen beispielsweise spiegelt die innere Aufruhr eines Jungen wider, dessen Aufgabe es war, die Taliban von der Anwesenheit ranghoher Soldaten in Konvois zu unterrichten. Er habe auch selbst Granaten auf Militärfahrzeuge geworfen, sagt Peracha.
Andere zeigen keinerlei Reue. Einer von Perachas neuen Schülern wurde bei dem Versuch festgenommen, die afghanische Grenze zu überqueren und einen Selbstmordanschlag auf US-Soldaten zu verüben. «Er bereut nicht, dass er die Soldaten in die Luft jagen wollte, sondern dass er festgenommen wurde», sagt sie.
Interviews mit den Schülern erlauben die Behörden nicht - aus Angst vor Repressalien gegen ihre Familien. Einige der Jungen haben nach wie vor Angehörige in Reihen der Taliban.
Eröffnet wurde die Schule mit dem Namen Saboon - zu deutsch Neuanfang - im September vergangenen Jahres mit zunächst 22 Jungen. Inzwischen werden 129 unterrichtet, geplant ist die Aufnahme von insgesamt 200 Schülern. Die Streitkräfte gründeten die Einrichtung, nachdem sie die Taliban aus weiten Teilen des Swat-Tals vertrieben hatten.
Unter den damals festgenommenen Islamisten waren auch viele Jungen, die als Informanten, Kämpfer oder Selbstmordattentäter rekrutiert worden waren. Dies stellte die Truppen vor ein Problem: Sollten sie die Jugendlichen zusammen mit älteren Extremisten ins Gefängnis stecken, um sie später als möglicherweise weitaus gefährlichere Feinde zu entlassen? So wurde die Idee für die Schule geboren.
«Viele wollen zurückkommen»
Die Mehrheit der jetzigen Schüler wurde festgenommen, fast die Hälfte wurde jedoch von ihren Familien in den Unterricht gebracht, wie Militärsprecher Ashfaq Nadeem erklärt. Anfangs noch misstrauisch, versteckten viele Dorfbewohner ihre militanten Söhne zunächst. «Doch dann sahen sie, wie die Schule läuft und dass den Jungen Fertigkeiten beigebracht werden. Jetzt wollen sie ihre Jungs in unsere Einrichtung bekommen», sagt Nadeem. Von der Hochwasserkatastrophe blieb die Schule verschont, da sie auf einer Anhöhe liegt.
Wie westliche Jugendgefängnisse kann die Schule ihre Schüler bis zur Volljährigkeit behalten. Nach ihrem Abgang sind sie zwei Jahre auf Bewährung. Elf junge Leute kehrten bislang zu ihren Familien zurück, die meisten konnten keine Arbeit finden. Die Streitkräfte suchen nun nach Alternativen für ihre Absolventen - die über ihre dortige Ausbildung hinaus an ihrer Schule hängen: «Viele wollen zurückkommen», sagt Nadeem.