Kinderimpfung im Sommer? Experten kritisieren mögliche Durchseuchung der Kinder
Da die Covid-Impfung für Kinder nicht geeignet ist, werden sie wohl auch im Sommer noch nicht geimpft sein. Die Frage, ob bei den Kindern eine natürlich Durchseuchung zugelassen werden soll, wird kontrovers diskutiert.

- von
- Leo Hurni
Darum gehts
Der Bund geht davon aus, dass im Sommer rund 2,5 Millionen Menschen nicht geimpft sein werden.
Darunter 1,5 Millionen Kinder: Für sie ist die Impfung noch nicht zugelassen. Trotzdem sollen ab August viele Corona-Massnahmen aufgehoben werden.
Erwartet wird eine Durchseuchung aller nicht-geimpften Personen.
Bei den Experten sorgt das für Diskussionen.
Auch nach Abschluss der Impfphase 2 ungefähr Ende Juli rechnet der Bundesrat damit, dass rund 2,5 Millionen Menschen noch ungeimpft sein werden (siehe Box). Neben den Impfunwilligen rechnet der Bundesrat mit 1,5 Millionen Kindern und Jugendlichen unter 16 und weiteren Personen, für die die Impfung nicht geeignet ist. «Dem Bundesrat ist es deshalb ein Anliegen, dass sich die Gesellschaft damit auseinandersetzt, dass sich langfristig alle nicht-geimpften und nicht-genesenen Personen anstecken werden», heisst es in einem Dokument zum 3-Phasen-Modell. Sprich: Laut dem Bundesrat kommt man um eine Durchseuchung aller nicht-geimpften Personen wohl nicht herum.
Auf den sozialen Medien sorgte das Papier für viel Ärger. «Der Bundesrat will die Kinder mit Infektion ‹immunisieren›. Wer stoppt diesen Wahnsinn?», schreibt ein Nutzer auf Twitter dazu.
Der Umgang mit den Kindern ist für viele unverständlich. «Danke Bundesrat, dass ihr uns und insbesondere unsere Kinder diesem Risiko extrem aussetzen wollt», heisst es in einem anderen Tweet.
Auch für Epidemiologe Marcel Tanner ist der Umgang mit den Kindern und Jugendlichen nicht gut definiert. «Es ist nicht richtig, wenn man über eine Herdenimmunität und Impfungen diskutiert, die Kinder und Jugendlichen dabei aber nicht klar einbezieht.» Tanner geht davon aus, dass die Impfung auch für Kinder und Jugendliche bereits in wenigen Monaten verfügbar sein werde, da die entsprechenden Studien bald Ergebnisse liefern werden. «Davon auszugehen, dass wir die Kinder und Jugendliche nur durchseuchen, ist zum raschen Erreichen einer genügenden Herdenimmunität weder optimal noch gerechtfertigt. Mit der raschen Impfung auch von Kindern und Jugendlichen kann diese besser erreicht werden.»
Natürliche Impfung der Kinder
Infektiologe und Kinderarzt Alessandro Diana von Infovac ist ebenfalls überzeugt, dass eine Durchseuchung der falsche Weg sei. Er rechnet damit, dass bald eine Impfempfehlung für Kinder ab zwölf Jahren gelten werde. «Ob das bereits im Sommer sein wird oder später ist aber schwierig zu bestimmen.» Die Vorteile von Kinder-Impfungen seien zahlreich: «Mehr als die Hälfte der Jugendlichen mit Covid zeigt Langzeitsymptome, was mit der Impfung verringert werden kann. Und auch die Übertragung des Virus durch Kinder könnte gebremst werden.»
Anders sieht das Infektiologe Andreas Widmer: «Für Kinder im vorpubertären Alter geht man zurzeit nicht von einer Bedrohung aus. Wenn alle Jugendlichen und Erwachsenen geimpft sind, könnte man das Risiko einer natürlichen Immunisierung akzeptieren, wenn bis dann keine sicheren Daten für die Impfung vorliegen.» Für die Gruppe von 16 bis 25 fordert Widmer allerdings eine möglichst rasche Impfung. «Sie wollen Freiheiten zurück wie die Möglichkeit zu reisen und an Konzerte oder Partys zu gehen. Das muss bis im Sommer klappen. Es kann nicht sein, dass die Senioren sich im Sommer zu tausenden in den Ressorts im Süden tummeln, die Jungen aber in der Schweiz bleiben müssen, weil sie sich noch nicht impfen lassen konnten.»
Im Sommer werden erste Ergebnisse erwartet
Verschieden Pharmaunternehmen forschen derzeit an einer Impfung für Kinder und Teenager. «Jüngere Kinder, die einen grossen Teil der Weltbevölkerung stellen, spielen eine entscheidende Rolle in unserem Kampf gegen Covid-19», hiess es zuletzt bei Pfizer/Biontech. Erste Ergebnisse einer laufenden Studie bei Jugendlichen deuten darauf hin, dass Kinder durch die Impfung besonders gut geschützt sind.
Schneller waren das US-Unternehmen Moderna und der britisch-schwedische Pharmakonzern AstraZeneca. Sie hatten schon vor Pfizer/Biontech begonnen, ihre Corona-Impfstoffe an jüngeren Kindern zu testen. Die Ergebnisse der Moderna-Studie für den Impfstoff bei 12- bis 17-Jährigen werden für Mitte des Jahres erwartet.
Das 3-Phasen-Modell
Der Weg zurück in die Normalität plant der Bundesrat mit einem «Drei-Phasen-Modell», das er letzte Woche präsentierte. Die «Schutzphase» dauert solange, bis alle impfwilligen besonders gefährdeten Personen vollständig, das heisst mit zwei Dosen, geimpft sind. Diese soll voraussichtlich bis Ende Mai gelten. Anschliessend folgt die «Stabilisierungsphase». Während dieser Phase erhält die gesamte erwachsene Bevölkerung Zugang zur Impfung. Der Abschluss dieser Phase hängt von der Impfbereitschaft der Bevölkerung ab. Zuletzt folgt die «Normalisierungsphase». Der Bundesrat ist der Ansicht, dass dann keine starken gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einschränkungen mehr zu rechtfertigen sind.
Derzeit ist der Plan bei den Kantonen in der Vernehmlassung.