Die Krise des ChampionsFederer hat den Killerinstinkt verloren
Nach wie vor gehört Roger Federer zu den besten Tennisspielern der Welt. Aber etwas hat sich verändert: Er lässt viel zu viele Chancen aus - auch bei seinem Wimbledon-Aus gegen Tomas Berdych.
- von
- P. Toggweiler & P. Reich
Roger Federer hat sein grosses Ziel - den siebten Wimbledon-Titel - verpasst. Der sechsfache Champion scheiterte bereits im Viertelfinal am Tschechen Tomas Berdych in vier Sätzen. Die Partie war zwar härter umkämpft als das Resultat annehmen lässt, dennoch ist die Niederlage von Federer verdient. Der Schweizer konnte sich zwar einmal mehr auf seinen Aufschlag verlassen, sonst war er seinem Kontrahenten aber beinahe in allen Belangen unterlegen.
Im Gegensatz zu den früheren Begegnungen mit Berdych, war es nicht Federer, der die Ballwechsel bestimmte sondern der Tscheche. Immer wieder drückte dieser den Titelverteidiger mit seinen knallharten Schlägen von der Grundlinie weg. Früher war es genau umgekehrt. Ob das nun mit den Beschwerden zu tun hat, die den Schweizer in den beiden Wimbledon-Wochen plagten, sei einmal dahingestellt. Offensichtlich konnte Federer bei den wichtigen Punkten für einmal nicht zulegen, von acht Breakbällen konnte er nur gerade einen verwerten. Bezeichnend dafür war, als er bei 3:2 im vierten Satz einen Return auf einen schwachen zweiten Aufschlag von Berdych fahrlässig ins Netz schlug.
Verpasste Gelegenheiten
Lange Zeit haftete Roger Federer der Ruf an, in den entscheidenden Phasen eiskalt zu bleiben. Federer-Bezwinger Söderling sagte noch vor dem Viertelfinal-Sieg an den French-Open: «Federer gibt dir keine zweite Chance.» Der Schweizer galt als «Frontrunner» - wenn er einmal in Führung lag, war er kaum noch zu besiegen. Diese Zeiten sind vorbei.
Schon in der Viertelfinal-Partie gegen Söderling in Paris vergab Roger Federer zu Beginn des zweiten Satzes gleich eine Breakchance. Zu diesem Zeitpunkt waren bei Söderling erste Auflösungserscheinungen erkennbar – der Schwede begann zu fluchen, haderte mit sich selbst. Federer gelang es in dieser entscheidenden Phase trotzdem nicht, den Sack zuzumachen. Im Gegenteil: Gleich danach gab er seinerseits seinen Aufschlag ab und holte damit den Gegner zurück in die Partie. Der Rest ist bekannt: Söderling gewann zum ersten Mal nach 12 Niederlagen gegen den Schweizer.
Bereits gegen Baghdatis in Indian Wells, gegen Ernests Gulbis in Rom und vor Wimbledon in Halle gegen Lleyton Hewitt zog der Schweizer nach einer Satzführung den Kürzeren. Nach den Niederlagen gegen Baghdatis und Hewitt hiess es jeweils: «Ich hätte gewinnen können.» Ein Satz, den früher seine Gegner en masse zu sagen pflegten. Nun machen aber plötzlich seine Gegner die entscheidenden Punkte, wenn es hart auf hart kommt.
Kleine Schwächenphasen beim Aufschlag
Der Aufschlag funktioniert zwar noch wie vor gut, doch immer wieder zieht Federer kleine Schwächephasen ein. 2004, auf dem Weg zu seinem ersten Australian-Open-Titel, schlug Roger Federer im Viertelfinal gegen David Nalbandian beim Stand von 15:40 und 5:5 im ersten Satz vier Asse in Serie. Als Reaktion gab sein Gegner gleich sein Aufschlagsspiel ab. In Wimbledon 2007 wehrte Federer drei Breakbälle von Rafael Nadal mit drei Assen ab. Am Tennis-Masters-Cup 2007, ebenfalls gegen Rafael Nadal, schlug Federer erneut vier Asse in Serie. Obwohl sein Aufschlag nicht der härteste auf der Tour ist, konnte sich Federer immer wieder auf ihn verlassen. Seine Break-Abwehrquote mit Assen war legendär, doch in letzter Zeit lässt er diese Qualität vermissen. Wie auch andere Zauberschläge.
Wo bleiben die Federer-Momente?
Der Autor und New-York-Kolumnist David Foster Wallace nannte es den «Federer-Moment»: Situationen, in denen «der Kiefer hinunterfällt, die Augen hervorquellen und man Geräusche produziert, die Mitbewohner in anderen Zimmern anlocken, weil sie sich um die Gesundheit des Fernsehzuschauers Sorgen machen.» Wann war der letzte dieser Momente? Im Viertelfinal der French Open gegen Robin Söderling? Der Schwede hämmerte einen Smash scheinbar unhaltbar in die linke Platzhälfte. Federer erreichte den Ball im Sprung, smashte mit viel Effet zurück. Und was machte Söderling? Er schliesst den Punkt im zweiten Anlauf ab. Bezeichnend. Immer öfters wissen Federers Gegner eine Antwort auf dessen Genialität –die leider aber auch immer seltener aufblitzt.
In der ersten Runde von Wimbledon gab es gegen Falla einige schöne Schläge. Doch die produzierte der Kolumbier auch. Deshalb lag Federer auch mit 2:0 in den Sätzen zurück. Die Magie, die Federer-Momente blieben aus. Erst im letzten Satz, als Falla einbrach, zauberte die ehemalige Weltnummer eins. Erst als sein Gegner gebrochen war. Früher kamen sie bereits so auf den Platz. Dem Schweizer fehlt es an Selbstbewusstsein. Wie auch gegen Berdych, als er es am nötigsten gehabt hätte.
Wenig inspiriert, ohne Risiko, zu wenig Druck
Vierter Satz gegen Falla in der ersten Runde von Wimbledon. Der Schweizer führt 6:5, es steht 30:30 bei gegnerischem Aufschlag. Roger Federer erwischt den Kolumbier auf seiner Backhand. Fallas Rettungsversuch kommt kurz und springt hoch auf. Federer sprintet ans Netz und muss den Ball nur noch versenken. Er versucht es mit einem Crosscourt. Falla antizipiert richtig und passiert den Schweizer ohne Mühe.
Die Szene steht exemplarisch für Federers momentane Probleme: Er spielt wenig überraschend, zu selten genial und oftmals ohne Druck – zu schläfrig. Zu lange profitierte der Schweizer von vielen unerzwungenen Fehlern der Gegner. Die Marke Federer sorgte für Knieschlottern und weiche Handgelenke. In den entscheidenden Phasen einer Partie sowieso.
Die zahlreichen Niederlagen haben Federers Aura als Unantastbarer verblassen lassen. Noch schlimmer: Die Gegner haben Blut geleckt. Während Federer sich in Zurückhaltung übt, wetzen seine Gegner die Messer und spielen immer druckvoller. Nicht selten wird Federer überpowert. Das mag auch an seinem neuen Racket liegen, das nicht auf Druck ausgelegt ist. Selbstverständlich würde der Schweizer sich nie öffentlich gegen seinen Schlägerausrüster aussprechen.
Kritik wächst
War Roger Federer früher der Darling aller Medien, bescheiden, herzlich, offen, muss sich der Schweizer in letzter Zeit nicht nur Kritik an seiner Spielweise gefallen lassen. Vor allem in England stiess sauer auf, dass Federer in der Vergangenheit wiederholt die nationale Hoffnung Andy Murray kritisierte. Er sei ein «schlechter Verlierer», hiess es. Doch mittlerweile sollte der Schweizer das gelernt haben.