Flüchtlingsszenarien Braucht es strengere Grenzkontrollen in der Schweiz? Das sagt der Experte
Über 8000 Flüchtende kamen in den letzten Tagen auf Lampedusa an. Ein Migrationsexperte zeigt, welche Handlungsmöglichkeiten realistisch für die Schweiz sind.
Darum gehts
Die Flüchtlingskrise in Italien beschäftigt auch die Politikerinnen und Politiker hierzulande – über die Lösungsvorschläge wird man sich aber nicht einig.
So fordert die SVP eine Auslagerung der Geflüchteten und die SP will, dass sichere Fluchtrouten geschaffen werden.
Wie realistisch sind die einzelnen Szenarien? Ein Experte ordnet ein.
Ob mehr Solidarität, ein gesamteuropäischer Aufteilungsschlüssel oder eine Auslagerung ins Ausland: Die Vorstellungen der politischen Parteien, wie die Schweiz die momentane Flüchtlingskrise angehen soll, gehen auseinander. Welche Szenarien sind dabei realistisch? Migrationsexperte Benjamin Schraven ordnet die verschiedenen Möglichkeiten ein.
Szenario: Sichere Fluchtrouten (SP)
SP-Nationalrätin Céline Widmer forderte kürzlich gegenüber 20 Minuten das Schaffen von sicheren Fluchtrouten und mehr Solidarität. «Die Schweiz hat als reiches Land eine besondere Verpflichtung», sagt sie. Auch für Schraven ist das Schaffen von sicheren Fluchtrouten aus ethischer Sicht eine nachvollziehbare Lösung. Wie er erklärt, würde das bedeuten, dass Geflüchtete beispielsweise in Schweizer Auslandsvertretungen ihren Asylanspruch geltend machen können, um dann gegebenenfalls in die Schweiz einzureisen. Darin sieht der Experte das Problem: «Dafür gibt es in der Schweiz sicherlich keine politische Mehrheit.» Zudem könnte die deutliche Vereinfachung des Weges faktisch zu einer Erhöhung der Anzahl Geflüchteter in Europa führen. «Auch dafür eine breite Unterstützung zu finden, ist unwahrscheinlich.»
Szenario: Eine engere Zusammenarbeit mit der EU (EVP)
EVP-Nationalrat Marc Jost fordert eine europaweite Lösung. «Die Schweiz muss nun mit der EU zusammenarbeiten, damit eine Bereitschaft für eine ausgewogene Verteilung dieser Flüchtenden entsteht.» Laut Schraven fällt es den EU-Mitgliedstaaten aufgrund ihrer unterschiedlichen Interessen derzeit jedoch schwer, eine nachhaltige Lösung zu finden. «Der Soforteffekt einer engeren Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU ist also eher gering. Das ändert aber nichts daran, dass das Ende der Flüchtlingskrise nur mit einem gesamteuropäischen Entscheid erreicht werden kann», sagt Schraven. Daher sei es essenziell, dass die Mitgliedstaaten ihre Interessen hinten anstellen und gemeinsam eine Lösung suchen. Insofern sei es langfristig sinnvoll und wohl auch wahrscheinlich, dass die Schweiz die Zusammenarbeit mit der EU verstärkt.
Szenario: Stärken von Grenzkontrollen (SVP)
Gemäss SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi sind systematische Kontrollen an der Grenze nötig, weil die Schweiz nun auf sich selbst schauen müsse. Wie Schraven sagt, sind mehr Grenzkontrollen wohl eine wahrscheinliche Option. «Die Frage ist aber, ob man Grenzkontrollen realistischerweise so intensivieren könnte, dass es tatsächlich gelingen könnte, Asylsuchende im grossen Massstab noch vor einem Grenzübertritt abzuweisen.» Die erhoffte Effektivität dieser Massnahme ist laut dem Experten sehr fraglich.
Szenario: Auslagerung der Geflüchteten (SVP)
SVP-Präsident Marco Chiesa will, dass die Schweiz ihr Asylwesen nach dem Modell von Grossbritannien ins Ausland verlagert. 2022 schloss die britische Regierung mit Ruanda einen Vertrag ab, um Geflüchtete für die Dauer ihres Asylantrags in das ostafrikanische Land zu schicken. «In der jetzigen Situation stellt sich die Frage, ob die Schweiz überhaupt ein Land finden würde, das sich dazu bereit erklärt, die hierzulande angekommenen Geflüchteten unterzubringen und ihre Menschenrechte auch achten könnte.» Die Kosten für den Transport und die Versorgung der Geflüchteten müssten gemäss Schraven von den Schweizer Steuerzahlenden übernommen werden. «Diese könnten für die Bürgerinnen und Bürger höher ausfallen, als die Personen in der Schweiz unterzubringen.»
Zudem sei die Auslagerung von Geflüchteten sowohl in der Politik als auch in der Bevölkerung sehr umstritten: «Ich könnte mir vorstellen, dass es zu Demonstrationen kommt, weil viele Schweizerinnen und Schweizer die Geflüchteten nicht abschieben wollen und sich Sorgen um die Wahrung von deren Menschenrechten machen. Ich halte das Szenario daher für eher unrealistisch.»
Hast du oder hat jemand, den du kennst, Fragen oder Probleme im Bereich Migration/Asylverfahren?
Hier findest du Hilfe:
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Tel. 031 370 75 75
Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK, Tel. 058 400 47 77
Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration, Tel. 044 436 90 00
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