Ein Jahr im AmtFranziskus will kein «Superpapst» sein
Papst Franziskus zieht eine Bilanz seines ersten Jahres als Oberhaupt der Katholiken: ein langes Gespräch über Personen-Hype, Missbrauch, Homo-Ehe und schwere Entscheidungen.
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Franziskus feiert am 13. März seinen ersten Jahrestag als Kirchenoberhaupt. Ferruccio de Bortoli, Chefredaktor der italienischen Tageszeitung «Corriere della Sera», traf den Papst in Rom und sprach mit ihm in einem offenen und vor allem sehr ehrlichen Gespräch über seine Erfahrungen in den letzten zwölf Monaten.
«Der Papst ist ein Mann, der lacht, weint, ruhig schläft und Freunde hat wie jeder andere auch», sagt Franziskus, als er über den Hype angesprochen wird, den er seit seiner Ernennung zum Pontifex am 13. März 2013 ausgelöst hat. «Den Papst als eine Art Superman, einen Star darzustellen, empfinde ich als beleidigend.»
Franziskus ist kein «Superpapst»
«Ich mag diese ideologischen Interpretationen, diese Art von Mythologie von Papst Franziskus nicht», sagte er dem Blatt. «Wenn ich mich nicht irre, war es Sigmund Freud, der sagte, dass in jeder Idealisierung auch eine Aggression steckt.»
Unter anderem war er von einem italienischen Strassenkünstler jüngst als «Superpapst» gezeichnet worden, der in der Nacht nach draussen schleicht, um Essen an die Armen zu verteilen. Franziskus dementierte vehement: «Auf diese Idee würde ich gar nicht kommen.»
Benedikt ist keine «Statue im Museum»
De Bortoli spricht viele andere heiklen Themen an: Liebe, Homo-Ehe, Missbrauchsskandale, Sterbehilfe, die Rolle der Frau in der Kirche, Reformen in der Kurie – und Franziskus gibt auf alles eine Antwort.
Ist er jemals verliebt gewesen? «Im Buch ‹Der Jesuit› erzähle ich, dass ich mit 17 Jahren eine Freundin hatte. Davon spreche ich auch in ‹Il cielo e la terra› (Der Himmel und die Erde), dem Buch, das ich mit dem argentinischen Rabbiner Abraham Skorka geschrieben habe. Im Seminar hat mir ein Mädchen eine Woche lang den Kopf verdreht.» Zum Ende der Liebesgeschichte meint er dann lächelnd: «Das waren Jugendangelegenheiten. Ich habe darüber mit meinem Beichtvater gesprochen.»
Und wie ist die Beziehung zu seinem emeritierten Vorgänger Benedikt XVI.? «Exzellent», betont der Papst. Er bezeichnete Benedikt als «weisen Grossvater», den er gelegentlich um Ratschläge bitte. «Der emeritierte Papst ist keine Statue im Museum, er ist eine Institution», meint Franziskus. «Benedikt ist der erste emeritierte Papst, und vielleicht wird es andere geben. Das wissen wir nicht. Er ist diskret, bescheiden, er will nicht stören. Wir haben miteinander gesprochen und zusammen beschlossen, dass er künftig mehr unter die Leute kommen und am Leben der Kirche teilnehmen soll.»
Benedikts Weisheit sieht Franziskus als «Geschenk Gottes». «Es gibt Leute, die wollten, dass sich Benedikt in eine Benediktinerabtei weit vom Vatikan entfernt zurückzieht. Ich habe hingegen an Grosseltern gedacht, die mit ihrer Weisheit und ihren Ratschlägen der Familie Kraft geben und es nicht verdienen, in einem Altersheim zu landen», so der 77-Jährige.
«Kirche hat mehr getan als jeder andere
Franziskus hat auch eine überraschende Antwort, wenn er über die Missbrauchsskandale, die die Kirche erschüttert haben, zu sprechen kommt. «Missbrauchsfälle sind fürchterlich, weil sie tiefste Wunden hinterlassen. Benedikt XVI. war sehr mutig und hat einen Weg geöffnet. Die Kirche hat auf diesem Gebiet viel getan, vielleicht mehr als jeder andere», verteidigte Franziskus.
Die Statistiken über das Phänomen der Gewalt gegen Kinder seien beeindruckend. «Sie bezeugen aber, dass sich die grosse Mehrheit dieser Missbrauchsfälle im Familien- oder Nachbarkreis ereignet. Die katholische Kirche ist vielleicht die einzige öffentliche Institution, die sich mit Transparenz und Verantwortungsbewusstsein bewegt hat. Niemand anderes hat mehr getan. Doch die Kirche ist die Einzige, die attackiert wird», meint der Pontifex.
Reformen und die Rolle der Frau
Zu seinen Reformplänen sagte Franziskus, dass er vor seinem Amtsantritt keine Pläne zur Kirchenreform hatte. «Ich habe mein Pontifikat begonnen, indem ich versucht habe, das umzusetzen, was bei der Debatte unter Kardinälen in den verschiedenen Kongregationen aufgetaucht war.» Die Entscheidungen treffe er nicht alleine, dennoch gebe es den einen Moment, in dem er die wichtigen Dokumente unterschreiben müsse. «Bei meiner Handlungsweise erwarte ich, dass mich der Herr inspiriert», sagte Franziskus.
«Welche Rolle spielt die Frau in der Kirche?», fragt Journalist De Bortoli. Franziskus gibt zu, dass «Frauen in den Entscheidungen der Kirche präsenter sein» sollten. Schon die Tatsache, dass «die Kirche» den weiblichen Artikel «die» habe, sollte dazu anregen, in diese Richtung zu denken. Das Thema werde jedoch von Theologen, Kardinal Rylko, in Zusammenarbeit mit vielen Frauen, Expertinnen in diesem Gebiet, behandelt.
Zwei heikle Angelegenheiten: Sterbehilfe und Homo-Ehe
Zum Thema Sterbehilfe meinte er: «Die traditionelle Kirchendoktrin behauptet, dass niemand gezwungen ist, ausserordentliche Mittel einzusetzen, wenn man weiss, dass ein Mensch in der Endphase ist. Ich habe stets Palliativbehandlungen empfohlen. In spezifischen Fällen muss man auf den Rat von Experten zurückgreifen.»
Auch zur Frage der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften äussert sich der Papst klar: «Die Ehe ist zwischen einem Mann und einer Frau.» Säkulare Staaten würden «unterschiedliche Situationen des Zusammenlebens» rechtfertigen, um «wirtschaftliche Aspekte wie die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung» zu regeln.
Hat der Papst Heimweh?
Persönliche Fragen waren im Interview auch zugelassen. Ob er Heimweh nach seiner argentinischen Heimat habe, fragt De Bortoli. «Nein, aber ich würde gern meine kranke Schwester besuchen, das letzte von uns fünf Geschwistern. Ich würde sie gern sehen, doch das rechtfertigt keine Reise nach Argentinien. Ich rufe sie an, das genügt. Ich glaube nicht, dass ich vor 2016 nach Lateinamerika reisen werde, weil ich bereits in Rio war. Ich muss jetzt ins Heilige Land, nach Asien und nach Afrika fahren», so Franziskus.