Mehr im Ausgang: «Frauen setzen sich öfter Risiko von Gewalt aus»

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Mehr im Ausgang«Frauen setzen sich öfter Risiko von Gewalt aus»

Die Zahl der jungen Frauen, die im öffentlichen Raum Gewalt erleben, hat sich laut einer Analyse verdreifacht. Ein Experte erklärt, was dahintersteckt.

B. Zanni
von
B. Zanni
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Frauen hätten ihr Freizeitverhalten geändert, sagt Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der ZHAW. Weil sie sich stärker wie Männer verhielten, habe auch die Gewalt gegen sie zugenommen.

Frauen hätten ihr Freizeitverhalten geändert, sagt Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der ZHAW. Weil sie sich stärker wie Männer verhielten, habe auch die Gewalt gegen sie zugenommen.

Keystone/Martin Ruetschi
«Betrachtet man die Statistik genauer, fällt auf, dass sich seit 2008 überhaupt nichts verändert hat», so Baier.

«Betrachtet man die Statistik genauer, fällt auf, dass sich seit 2008 überhaupt nichts verändert hat», so Baier.

Screenshot/SonntagsZeitung
Die Strasse wird am Abend zur Gefahrenzone für junge Frauen: Partypeople nach der Street Parade. (Archivbild)

Die Strasse wird am Abend zur Gefahrenzone für junge Frauen: Partypeople nach der Street Parade. (Archivbild)

Keystone/Christian Merz

Herr Baier, die Zahl von Fällen, in denen junge Frauen Opfer von Gewalt wurden, hat sich laut einer Analyse der «SonntagsZeitung» verdreifacht. Warum sind Frauen so oft Opfer von Gewalt?

Heute sind Frauen nicht häufiger Opfer von Gewalt. Betrachtet man die Statistik genauer, fällt auf, dass sich seit 2008 überhaupt nichts verändert hat. Sowohl für 2008 als auch für 2016 liegt der Wert bei den im öffentlichen Raum verletzten jungen Frauen pro 1000 bei etwas über 2,0. Zwischendurch zeigt sich ein Auf und Ab ohne jegliches Muster.

Basiert die Analyse demnach auf falschen Zahlen?

Nein. Hinsichtlich der Entwicklung der Gewalt gegen junge Frauen zeigt sich, dass die Fälle nur in der Zeit zwischen 1996 und 2008 zunahmen. Und das ist durchaus erklärbar.

Wie?

In dieser Zeitspanne änderte sich das Freizeitverhalten der jungen Frauen. Sie begannen zunehmend, ihr Freizeitverhalten stärker dem Verhalten der Männer anzugleichen, was ja im Sinne der Emanzipation auch erwünscht ist. Das heisst, sie fingen an, häufiger und länger in den Ausgang zu gehen, Alkohol und Drogen zu konsumieren. Mitte der 2000er-Jahre war zudem das Rauschtrinken ein grosses Thema, das von jungen Frauen gleich häufig ausgeübt wurde wie von Männern. Durch diese ganzen Veränderungen setzten sich Frauen automatisch häufiger dem Risiko von Gewalt aus. Leider geht aus der Statistik nicht hervor, um welche Art von Gewalt es sich genau handelte und was der Auslöser beziehungsweise wer der Täter war.

Was sind typische Situationen für Gewalt gegen Frauen im Ausgang?

Gewalt ist zum Beispiel mit Raubtaten verbunden. Ein typischer Fall ist, dass Frauen mit Gewalt die Handtasche oder das Handy entrissen wird. Gewalt kann aber auch eine Rolle spielen, wenn eine Frau zwischen Männern steht, die einen Konflikt austragen. Häufig werden Frauen im Ausgang zudem Opfer, wenn sie begrapscht werden oder andere Formen von sexuellen Übergriffen erleben.

In welchen Situationen werden Frauen selbst gewalttätig?

Auch Frauen können Auslöser von Gewalt sein. Spielt Eifersucht eine Rolle, gehen auch angetrunkene Frauen im Ausgang aufeinander los. Dazu kommt es zum Beispiel, weil eine der Frauen das Gefühl hat, dass sich eine andere Frau an ihren Freund ranmacht. Wie bei den Männern begannen auch Frauen durch das veränderte Ausgehverhalten mehr in Cliquen unterwegs zu sein. Solche Cliquen können ebenso provozieren und dann auch Opfer von Gewalt werden. Aber unabhängig davon, ob Frauen oder Männer Opfer sind: Im öffentlichen Raum werden generell noch zu viele Gewalttaten begangen. Es braucht deshalb Massnahmen, um unter anderem die Zivilcourage der Bevölkerung zu erhöhen.

Viele Menschen mischen sich in einen Konflikt aber nicht ein, weil sie Angst haben, selbst Opfer zu werden.

Gewalttätige Situationen sollen natürlich nicht zum Heldenspiel werden. Um auszuschliessen, selbst verprügelt zu werden, ist es richtig, wenn man als Zeuge nicht eingreift. Zeugen gewalttätiger Auseinandersetzungen sollen aber im Rahmen ihrer Möglichkeiten handeln. Wenn man die Polizei ruft, den Barkeeper informiert oder sich mit anderen Leuten organisiert, kann man schon viel bewirken. Stets zu denken «es sind ja noch andere da» ist der falsche Weg.

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