Frauenstreiktag: «Frauenmehrheit im Bundesrat ist ein Zufall»

Aktualisiert

Frauenstreiktag«Frauenmehrheit im Bundesrat ist ein Zufall»

Christiane Brunner hat den Frauenstreiktag vor 20 Jahren ins Leben gerufen. Heute propagiert die Genfer SP-Politikerin eine neue Form der Frauenbewegung.

Jessica Pfister
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Jessica Pfister
Blickt mit guter Erinnerung auf den ersten Frauenstreiktag 1991 zurück. SP-Politikerin und Initiantin Christiane Brunner.

Blickt mit guter Erinnerung auf den ersten Frauenstreiktag 1991 zurück. SP-Politikerin und Initiantin Christiane Brunner.

Sind Sie heute auf der Strasse am Streiken?

Christiane Brunner: Ja, ich laufe an der Demonstration in Genf mit. Reden habe ich dieses Jahr aber alle abgesagt. Ich wollte die Veranstaltung wieder mal von einer anderen Seite miterleben.

Braucht es den Frauenstreiktag heute überhaupt noch?

Auf jeden Fall. Es sind noch lange nicht alle Forderungen, die wir vor 20 Jahren gestellt haben, realisiert worden. Ich denke da vor allem an gleiche Löhne für gleiche Arbeit, familienverträgliche Arbeitszeiten sowie den Ausbau der Kinderbetreuung.

Ist es nicht frustrierend, dass viele Forderungen von heute dieselben sind wie damals?

Klar ist es frustrierend. Gerade bei den Löhnen habe ich mir eine schnellere Entwicklung erhofft. Immerhin ist das Gleichstellungsgesetz seit 1996 in Kraft. Hier liegt es vor allem an den Unternehmungen, Massnahmen für gleichwertige Löhne zu ergreifen.

Sind die Frauen nicht auch selbst schuld, dass sie heute noch immer weniger verdienen?

Um genug Lohn zu verlangen, müssen Frauen sicher noch ein stärkeres Selbstbewusstsein entwickeln. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Löhne transparent kommuniziert werden. Dies ist aber leider noch immer ein gesellschaftliches Tabu.

Sie haben den Frauenstreiktag vor 20 Jahren initiiert. Was hat sich verändert?

Der erste Frauenstreiktag 1991 hat uns Frauen Selbstbewusstsein gegeben und aufgezeigt, dass wir gemeinsam stark sind. Was die Technologie angeht, lebten wir damals noch wie im Mittelalter. Wir hatten kein Internet und kein Mobiltelefon, um unseren Streik-Aufruf zu verbreiten. So wusste ich überhaupt nicht, was passieren würde. Erst am Abend bei einem Interview im Schweizer Fernsehen habe ich erfahren, dass mehr als eine halbe Millionen Frauen auf die Strasse gingen. Ich war überglücklich und strahlte nur noch vor Freude.

Heute rechnen die Organisationen mit 100 000 demonstrierenden Frauen – weit weniger als vor 20 Jahren. Lassen sich junge Frauen mit dem Thema Gleichstellung überhaupt noch mobilisieren?

Junge Frauen, die heute ins Berufsleben einsteigen, fühlen sich kaum mehr diskriminiert. Die Probleme sind aber nicht weg, sondern haben sich verschoben. Das merken die Frauen spätestens dann, wenn sie Kinder kriegen und es um Arbeitszeiten und Betreuung geht. Deshalb hätte man für den Frauentag eine neue Form finden müssen. Eine, mit der sich die Frauen wieder mobilisieren lassen.

Haben Sie konkrete Vorstellungen?

Ich habe einige Ideen. Aber heute ist nicht der richtige Tag, um darüber zu sprechen.

Wie beurteilen Sie die Gleichberechtigung in der Politik? Heute wird die Schweiz erstmals von einer Frauenmehrheit im Bundesrat regiert.

Im Parlament sind es aber noch lange nicht 50 Prozent Frauen. Und auch im Bundesrat ist die Frauenmehrheit eher ein Zufall – für einmal zugunsten der Frauen.

Trotzdem kam die Frauenmehrheit ohne Quote, wie sie eine Initiative im Jahr 2000 gefordert hatte, zustande.

Das ist richtig. Ich stehe heute einer Frauenquote auch kritisch gegenüber.

Heute rufen nicht mehr nur Frauen nach Gleichberechtigung, sondern auch Männer – zum Beispiel wenn es um das Sorgerecht der Kinder geht. Haben Sie Verständnis für die Anliegen der Männer?

Zum Teil. Wenn Männer und Väter diese Rechte einfordern, müssen sie im Gegenzug aufzeigen, dass sie die Verantwortung wahrnehmen können. Rechte sind immer gut, aber dazu gehören auch Pflichten. Das ist den Männern noch zu wenig bewusst.

Brunner prägte die Frauenbewegung

Die 64-jährige SP-Politikerin Christiane Brunner war 1991 national bekannt geworden, als sie am 14. Juni 1991 zum Frauenstreiktag aufrief. Am 3. und 10. März 1993 stand die Genferin erneut mit demonstrierenden Frauen im Rampenlicht, weil nach einer Kampagne der Bürgerlichen nicht sie, sondern ihre «politische Schwester» Ruth Dreifuss zur ersten SP-Bundesrätin gewählt wurde. Brunner ist seit 1976 Mitglied der SP, präsidierte ab 1992 die Metallgewerkschaft SMUV und stand von 1994 bis 1998 als erste Frau dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) neben Vasco Pedrina als Co-Präsidentin vor. 1991 wurde die Juristin in den Nationalrat, 1995 in den Ständerat gewählt. Während einer tiefen parteiinternen Krise nach dem Abgang von Ursula Koch wurde Christiane Brunner im Oktober 2000 zu deren Nachfolgerin als SP-Parteipräsidentin gewählt und führte die Partei bis März 2004. (jep)

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