Zeitungs-Interview : Freysinger relativiert Genozid an Armeniern

Aktualisiert

Zeitungs-Interview Freysinger relativiert Genozid an Armeniern

Das Massaker am armenischen Volk habe «vielleicht stattgefunden, vielleicht nicht», sagte der Walliser SVPler einer türkischen Zeitung. Die Gesellschaft Schweiz-Armenien ist empört.

Der Walliser SVP-Staatsrat Oskar Freysinger.

Der Walliser SVP-Staatsrat Oskar Freysinger.

Der Walliser Staatsrat Oskar Freysinger hat in einem Interview mit einer türkischen Zeitung den Völkermord am armenischen Volk von 1915 relativiert - und sich damit selbst widersprochen. Der Präsident der Gesellschaft Schweiz-Armenien bezeichnete Freysingers Äusserungen als «unverantwortlich».

Das auf Englisch publizierte Interview mit der Zeitung «Aydinlik» erschien bereits am 15. Januar. Darin sagte der Vorsteher des Walliser Bildungsdepartements über das Massaker am armenischen Volk im 20. Jahrhundert: «Vielleicht hat es stattgefunden, vielleicht nicht. Das muss offen debattiert werden können.»

Weiter spricht sich der Walliser Schulminister indirekt dagegen aus, das Thema «Genozid an den Armeniern» in den Schulstoff aufzunehmen - zumal sich in dieser Frage «nicht mal die Historiker einig seien».

Damit widerspricht sich der SVP-Nationalrat selbst: 2003 gehörte er zu den Unterzeichnern einer Petition zur Anerkennung des Völkermordes gegen das armenische Volk, wie das Nachrichtenportal Tagesanzeiger.ch/Newsnet in einem Artikel vom Mittwoch in Erinnerung ruft.

Für Meinungsäusserungsfreiheit

Anlass für das Interview mit Freysinger war das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall des türkischen Nationalisten Dogu Perincek, des Chefs der türkischen Arbeiterpartei. Dieser bestreitet den Völkermord an den Armeniern.

Für entsprechende Äusserungen in der Schweiz wurde er 2007 wegen Rassendiskrimierung verurteilt. Perincek focht das Urteil vor dem Strassburger Gerichtshof für Menschenrechte an. Der EGMR gab Perincek Ende Dezember Recht und stellte einen Verstoss der Schweiz gegen die Meinungsäusserungsfreiheit fest.

Die Frist für einen Rekurs läuft noch bis zum 17. März. Am Mittwoch lag laut dem Bundesamt für Justiz (BJ) diesbezüglich noch kein Entscheid vonseiten der Schweiz vor.

Freysinger begrüsst im Interview mit der Zeitung «Aydinlik» das Urteil aus Strassburg. Bei dieser Zeitung handelt es sich laut dem Präsidenten der Gesellschaft Schweiz-Armenien allerdings nicht um irgendeine Zeitung, sondern um die Zeitung von Dogu Perincek, um das Parteiorgan der türkischen Arbeiterpartei also.

«Völlig unverantwortlich»

«Mit solchen Äusserungen stellt Oskar Freysinger seine Integrität in Frage», sagte Sarkis Shahinian, Präsident der Gesellschaft Schweiz-Armenien, auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda. Er benehme in sich in dieser Angelegenheit völlig unverantwortlich und setze mit diesen Aussagen die Würde der Schweizer Politik herunter - und als Vize-Präsident der SVP auch jene seiner Partei.

Denn Freysinger sei einer von jenen 7 SVP-Nationalräten, die 2003 dem Postulat zur Anerkennung des Genozids am armenischen Volk zustimmten - in voller Kenntnis der Sachlage. Der SVP-Nationalrat habe sich im Vorfeld der Abstimmung von 2003 nämlich sehr gut über das Thema informiert, auch in persönlichem Austausch mit ihm, Shahinian.

Die plötzliche Kehrtwende könne nicht ernst genommen werden. Eine Strafanzeige kommt für die Gesellschaft Schweiz-Armenien jedoch nicht in Frage. Freysinger gehe es vor allem darum, Aufmerksamkeit zu erregen. «Dieses Spiel machen wir nicht mit», sagte Shahinian.

1,5 Millionen Opfer

Die Verfolgung des armenischen Volks fand während des Ersten Weltkriegs statt. Das armenische Siedlungsgebiet war zwischen dem Osmanischen Reich und Russland geteilt. Die türkischen Behörden deportierten ab April 1915 Armenier in die Wüste Mesopotamiens. Nach armenischen Angaben starben dabei etwa 1,5 Millionen Menschen.

Die Relativierung des Genozids an den Armeniern - in der Schweiz ein Straftatbestand - ist nicht die erste historische Provokation Freysingers.

Ende August 2013 stellte er in seiner Funktion als Walliser Bildungsminister den Autor Slobodan Despot als Kommunikationsbeauftragten ein. Dieser gilt unter anderem wegen seiner Leugnung des Genozids in Srebrenica während des Bosnienkriegs 1995 als umstritten. (sda)

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