Isolierte Covid-19-Patienten: «Fühlt sich an, als wäre man einfach verschwunden»

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Isolierte Covid-19-Patienten«Fühlt sich an, als wäre man einfach verschwunden»

Die Spitäler in Grossbritannien haben in der zweiten Corona-Welle fast doppelt so viele Kranke zu versorgen wie im Frühjahr. Die Mitarbeitenden kommen an ihre Grenzen – und versuchen dennoch, immer für ihre Patienten da zu sein.

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War Mitte Januar mit Atemproblemen ins Londoner King’s College Hospital gebracht worden: der 47-jährige Justin Fleming.

War Mitte Januar mit Atemproblemen ins Londoner King’s College Hospital gebracht worden: der 47-jährige Justin Fleming.

AP
«Wenn man (mit Covid-19) isoliert werden muss, fühlt sich das an, als wäre man einfach verschwunden. Es ist fast, als könne man innerhalb einer Woche zu einer Nicht-Person werden.»

«Wenn man (mit Covid-19) isoliert werden muss, fühlt sich das an, als wäre man einfach verschwunden. Es ist fast, als könne man innerhalb einer Woche zu einer Nicht-Person werden.»

AFP
Der 47-Jährige ist einer von mehr als 37’000 Corona-Patienten in britischen Krankenhäusern. Die Zahl ist fast doppelt so hoch wie während der ersten Welle im Frühjahr 2020.

Der 47-Jährige ist einer von mehr als 37’000 Corona-Patienten in britischen Krankenhäusern. Die Zahl ist fast doppelt so hoch wie während der ersten Welle im Frühjahr 2020.

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Darum gehts

  • In Grossbritannien werden täglich zehntausende neue Infektionen mit dem Coronavirus gemeldet.

  • Britische Spitäler sind mit Covid-19-Patienten überlastet.

  • Mitarbeitende bezeichnen die zweite Welle als schlimmer, weil die Patienten viel schwerer erkrankt und die Zahlen höher seien.

Der 100’000ste Corona-Todesfall in Grossbritannien war für Justin Fleming viel mehr als nur eine Zahl. Als Krankenhauspatient mit Covid-19 war ihm klar, wie leicht er zu den Todesopfern hätte gehören können, wenn ihm Ärzte und Schwestern nicht das Leben gerettet hätten. Er habe sich vorgestellt, seine Familie womöglich nicht mehr wiedersehen zu können und zu einer blossen Zahl in der Todesstatistik zu werden, erzählt der 47-Jährige. Fleming war Mitte Januar mit Atemproblemen ins Londoner King’s College Hospital gebracht worden. Nach zwei Wochen mit Sauerstoffversorgung auf der Akutstation besserte sich sein Zustand.

Das Ausmass der Corona-Krise in Grossbritannien wirkt überwältigend: Täglich werden zehntausende neue Infektionen gemeldet, und mehr als 1000 Menschen sterben täglich an und mit dem Virus. Doch auf den Covid-19-Stationen der Krankenhäuser nimmt die gewaltige Pandemie zugleich eine intime Dimension an. Das medizinische Personal bekämpft die Krankheit Patient für Patient, ein Ende ist nicht in Sicht. Fleming verdankt sein Leben unter anderem einer Krankenschwester, die erst vor Kurzem von den Philippinen nach London kam, und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aus der Zahnklinik und der Neurologie abgezogen wurden. Sie hätten seine Isolation erleichtert, sagt der Patient: «Denn wenn man (mit Covid-19) isoliert werden muss, fühlt sich das an, als wäre man einfach verschwunden. Es ist fast, als könne man innerhalb einer Woche zu einer Nicht-Person werden.»

Der 47-Jährige ist einer von mehr als 37’000 Corona-Patienten in britischen Krankenhäusern. Die Zahl ist fast doppelt so hoch wie während der ersten Welle im Frühjahr 2020. Im King’s College Hospital wurden vor kurzem fast 800 Corona-Patienten behandelt. Infolge eines neuen landesweiten Lockdowns fiel die Zahl auf 630 – was immer noch eine grosse Herausforderung darstellt.

Prioritäten setzen

Die Pflegerin Jenny Townsend arbeitet auf einer Intensivstation mit 16 Betten, auf der aktuell 30 Patienten untergebracht sind. An jedem Platz für ein Bett stehen jetzt zwei. In normalen Zeiten kümmert sich eine Intensiv-Krankenschwester um einen Patienten – derzeit sind es vier.

«Wir fühlen uns alle sehr stark gefordert», sagt Townsend. «Wir geben unser Bestes und wir tun es unter sehr schwierigen Bedingungen. Wir versuchen, unsere Arbeit möglichst so gut zu machen wie im Normalfall, aber wegen der Zahl an Patienten müssen wir bisweilen Prioritäten setzen, was wir tun können und was nicht.»

Wie viele Kolleginnen und Kollegen musste sich das Personal zu Beginn der Pandemie Anfang 2020 rasch umstellen. Benötigt wurden mehr Platz für Patienten und zusätzliche Mitarbeiter aus anderen Abteilungen. Stationen wurden umgewandelt, Zuständigkeiten geändert und Intensivstationen erweitert.

Nach einer Entspannung im Sommer mit einem Rückgang der Infektionszahlen wiederholte sich das Szenario, als sich das Virus im Herbst wieder verstärkt ausbreitete. Viele Beschäftigte empfinden die Belastung beim zweiten Mal als höher. «In der ersten Welle hatten die Menschen noch mehr Energie, weil wir mit etwas Unbekanntem zu tun hatten und im Laufe der Zeit dazu gelernt haben», erklärt Felicia Kwaku, stellvertretende Pflege-Leiterin der Klinik. «In dieser zweiten Welle ist es schlimmer, weil die Patienten viel schwerer erkrankt sind, die Zahlen höher sind, die Welle sich länger anfühlt.»

«Manchmal bricht man zusammen, dann richtet man sich wieder auf»

Inzwischen geht die Zahl der aufgenommenen Covid-19-Patienten in Londoner Krankenhäusern zwar allmählich zurück, doch der Druck auf das Personal wird nur langsam nachlassen. Zu den Beschäftigten gehört auch Berenice Page, die für den Kontakt der Patienten zu ihren Familien zuständig ist. Sie ruft jeden Tag Angehörige an, um sie über den Zustand der Kranken zu informieren. Dann geht sie mit einem Tablet durch die Station, damit Verwandte, die nicht zu Besuch kommen dürfen, ihre Lieben zumindest sehen können.

Sie empfinde ihre Aufgabe als grosses Privileg, erzählt Page, die normalerweise in der Reanimation arbeitet. «Man bekommt bei den Videoanrufen einen Einblick in das Leben des Patienten, und man sieht (die Angehörigen) in ihren Wohnungen sitzen und einige von ihnen haben kleine Kinder», sagt sie. «Und, ja, ich spüre ihre Verzweiflung. Aber ich weiss auch, was für einen Unterschied es macht. Wir sprechen oft mit Menschen, deren Verwandte sterben werden. Es ist eine sehr schwere Situation.»

Bisher würden noch unaufhörlich neue Patientinnen und Patienten aufgenommen, sagt Kwaku von der Pflegeleitung. Das Krankenhauspersonal schöpfe aber Mut aus der schnellen Verteilung von Impfstoffen in Grossbritannien. Mehr als sieben Millionen Menschen haben bereits die erste von zwei Impfdosen bekommen.

«Man nimmt jede Schicht, wie sie kommt, man nimmt jeden Tag, wie er kommt», sagt Kwaku. «Manchmal bricht man zusammen, dann richtet man sich wieder auf.(...) Manchmal vergiesst man eine Träne.(...) Aber wir sind hier, um uns um Patienten und um einander zu kümmern.»

Hast du oder jemand, den du kennst, Mühe mit der Coronazeit?

Hier findest du Hilfe:

BAG-Infoline Coronavirus, Tel. 058 463 00 00

BAG-Infoline Covid-19-Impfung, Tel. 058 377 88 92

Dureschnufe.ch, Plattform für psychische Gesundheit rund um Corona

Branchenhilfe.ch, Ratgeber für betroffene Wirtschaftszweige

Pro Juventute, Tel. 147

(DPA/scl)

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