ExperimentFür Traumjob akzeptieren Lernende Lohn von 285 Fr
Forscher haben Schüler gefragt, welche Kriterien ihnen bei der Lehrstellenwahl wichtig sind. Branchen mit Lehrlingsmangel reagieren darauf.
- von
- P. Michel
Was gibt bei Schulabgängern bei der Wahl der Lehrstelle den Ausschlag: ein möglichst hoher Lehrlingslohn oder eher der Traumberuf, ein kurzer Arbeitsweg, normale Arbeitszeiten oder das Versprechen, nach dem Abschluss dort weiterarbeiten zu können? Diese Frage haben Forschende der Universität Bern im Rahmen der «DAB-Panelstudie» mit Experimenten untersucht (siehe Box).
Das Resultat: Am wichtigsten ist, dass die Stelle den Interessen entspricht. Ist dies nicht der Fall, müsste der Lehrbetrieb monatlich zusätzlich 395 Franken pro Monat offerieren. Und am Wochenende und am Abend würden Jugendliche nur arbeiten, wenn sie zusätzlich mit 269 Franken entschädigt würden.
Wochenendarbeit kommt nicht gut an
Passt die Stelle inhaltlich nicht, kommen eine Stunde Weg hinzu und ist eine Weiterbeschäftigung nach der Lehre nicht vorgesehen, müsste der Arbeitgeber 1556 Franken pro Monat bezahlen, um doch Jugendliche zu überzeugen. Das Gegenbeispiel: Handelt es sich um die Traumstelle, bei der alle zusätzlichen Faktoren gegeben sind, wären die angehenden Lernenden gar mit einem Monatslohn von 285 Franken zufrieden.
«Wichtiger als ein hohes Einkommen sind den Jugendlichen gute Arbeitsbedingungen, die Möglichkeit, nach der Ausbildung vom Ausbildungsbetrieb übernommen zu werden, und dass die Lehre inhaltlich ihren Interessen entspricht», so das Fazit der Forschenden.
Wählerische Jugendliche?
«Die Jugendlichen haben Ansprüche an die Arbeitswelt: Sie sind wählerisch und akzeptieren lange Pendelwege oder Arbeitszeiten am Abend und am Wochenende kaum», sagt Forscherin Sara Möser.
Lehrbetrieben, die bei der Rekrutierung von Lernenden Mühe haben, rät Möser: «Mit guten Arbeitsbedingungen und dem Versprechen, nach Abschluss der Lehre in der Firma eine Zukunft zu haben, kann man sich von der Konkurrenz abheben und vielleicht eher schwer zu besetzende Lehrstellen füllen.» Natürlich könnten Firmen auch mit einem sehr hohen Lohn werben. Dies könne sich jedoch nicht jeder Betrieb leisten, sagt Möser.
Fleischbranche experimentierte schon mit höheren Löhnen
Um Lernende kämpft seit Jahren der Schweizer Fleisch-Fachverband. «Wir haben festgestellt, dass mehr Lohn nicht funktioniert», sagt Philipp Sax, Leiter Bildung. Vor einigen Jahren erhöhte die Branche den Lehrlingslohn um 100 Franken – ohne Erfolg.
«Wir nehmen die Bedürfnisse der Jungen auf, um sie für unsere Branche zu gewinnen», sagt Sax. So streiche man wenn möglich die Samstagsarbeit für Lernende, da diese immer mehr ein «No-go» sei. Dies hänge mit einem Wandel beim Freizeitverhalten zusammen.
«Ebenfalls bieten wir Stellen in der Region an, da heute kaum mehr jemand bereit ist, weit zu pendeln oder gar beim Lehrbetrieb zu wohnen.» Sax betont, heute müsse die Lehre als attraktives Gesamtpaket vermarktet werden. Dabei griffen Betriebe auch zu kreativen «Zückerli»: «Ein Handy oder die Finanzierung der Autoprüfung zu offerieren, hat bei einigen Firmen funktioniert.»
Ähnliches stellt auch Lehrlingsberater Peter Heiniger fest. Er rät Firmen dazu, den Lernenden auch mal am Geburtstag frei zu geben, um sie für die Stelle zu begeistern.
Nichtraucher-Prämien und Handy-Abos

Herr Heiniger*, warum ist der Lohn für viele Lernende nicht so zentral?
Einen guten Lohn, ja gerne, aber nicht um jeden Preis. Denn nicht selten bekommen Jugendliche vor, aber auch während der Berufslehre kleinere sowie grössere Extrawünsche wie beispielsweise Kleider, Ferien oder Fahrprüfung von den Eltern bezahlt. Zudem müssen viele Lernende zu Hause auch kein Kostgeld mehr abgeben. Flexibilität und Freiheit stehen darum oft höher im Kurs, als 100 Franken mehr Monatslohn.
Worauf reagieren angehende Lernende dann?
Firmen, die ich berate, bieten Nichtraucher-Prämien, zahlen das Smartphone-Abo oder geben Lernenden an ihrem Geburtstag den Tag frei. Wichtig ist, herauszufinden, welche «Benefits» die Jugendlichen tatsächlich wollen. Lehrbetriebe sollten dazu mit Schülern das Gespräch suchen.
Haben solche «Zückerchen» ein Ablaufdatum?
Ja, ein Elektroinstallateursunternehmen stellt den Lernenden im 3. Lehrjahr etwa ein Auto inklusive Benzinkarte zur Verfügung – auch für den privaten Gebrauch. Das kommt nicht schlecht an. Aber: Mittlerweile stellt die Firma fest, dass bei den Jungen das Autofahren gar nicht mehr so hoch im Kurs ist.
*Peter Heiniger ist Unternehmensberater, spezialisiert im Berufsbildungsbereich.
Die Studie
Die Studie
Die Erziehungswissenschaftler der Universität Bern befragten im Rahmen der Studie «Determinanten der Ausbildungswahl und der Berufsbildungschancen» (DAB) 1500 Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse nach ihrer Wunschausbildung und unterbreiteten ihnen verschiedene Lehrstellenangebote, die sich hinsichtlich Spezialisierung, Lohn, Wochenendarbeit oder Weiterbildungsmöglichkeiten unterschieden. Diese Merkmale der Lehrstellenangebote wurden systematisch variiert innerhalb der gewünschten Branche, also beispielsweise einmal als Kaufmann Technik, das andere mal als Kaufmann Bank. So konnten die Forschenden untersuchen, welche Faktoren von den Jugendlichen wie stark gewichtet werden.