Fugate-FamilieDieses Bild ist bearbeitet, aber die blaue Familie hat es wirklich gegeben
Es gibt Familiengeschichten, die glaubt man kaum. Eine davon ist die der Familie Fugate aus dem US-Bundesstaat Kentucky. Hier brachten die Frauen immer wieder Kinder mit blauer Haut zur Welt.
Darum gehts
Anfang des 19. Jahrhunderts kam es im US-Bundesstaat Kentucky zu einer Häufung von Menschen mit blauer Haut.
Lange war die Ursache unklar.
Erst in den 1950er-Jahren wies der Mediziner Madison Cawein nach, dass dies auf eine Erbkrankheit – und Inzest – zurückzuführen ist.
Dadurch wurde der eigentlich sehr, sehr seltene Gendefekt über mehrere Generationen weitergegeben.
Dank der Gabe von Methylenblau nahm die Haut der Betroffenen wieder eine natürliche Farbe an.
Die Frage, wie ihr Kind aussehen wird, stellen sich wahrscheinlich alle werdenden Eltern einmal: Ähnelt es eher dem Vater oder doch der Mutter? Für das Ehepaar Fugate aus dem US-Bundesstaat Kentucky dürfte diese Frage mit der Zeit aber nebensächlich geworden sein. Sie haben sich wohl eher gefragt, ob ihr nächstes Kind helle oder blaue Haut haben wird. Denn vier ihrer insgesamt sieben Kinder sind – den Überlieferungen nach – mit blauer Haut zur Welt gekommen. Die Ursache kannten die beiden lange nicht.
Wer waren die «blauen Fugates»?
Die Geschichte der «blauen Menschen von Kentucky», wie die Familie auch genannt wurde, begann mit Martin Fugates Auswanderung. Der aus Frankreich stammende Waise kam Anfang des 19. Jahrhunderts in die USA. Der Familienüberlieferung zufolge soll auch er blaue Haut gehabt haben. Belegt ist das nicht. Fest steht aber, dass er im dünn besiedelten östlichen Kentucky Elizabeth Smith kennenlernte, die als so blass «wie der Berglorbeer» beschrieben wird. Auch rotes Haar soll sie gehabt haben. Die beiden heirateten und liessen sich an den Ufern des Troublesome Creek nieder, wo sie ihre aussergewöhnliche Familie gründeten.

Blühender Berglorbeer im Frühling.
Rätselraten und Getuschel
Über die blaue Haut einiger ihrer Kinder wunderten sich nicht nur die Fugates selbst. Auch die wenigen Menschen, die sie zu Gesicht bekamen, rätselten mit. Als mögliche Ursachen wurden etwa eine Herzkrankheit oder eine Lungenerkrankung thematisiert. Andere vermuteten, dass «ihr Blut ein wenig näher an ihrer Haut ist». Wirklich nachgegangen wurde dem Phänomen zunächst nicht: Auch nicht, als die Familie wuchs und weitere Fälle von blauer Haut auftraten. Die Fugates und ihre Nachkommen lebten einfach zu abgelegen: Troublesome Creek wurde erst 1910 an die Bahn angeschlossen.
Der Ursache auf der Spur
Abgesehen von der mysteriösen blauen Haut waren die Mitglieder der Fugate-Familie körperlich unauffällig. Die meisten lebten bis zu ihrem 80. und 90. Lebensjahr ohne ernsthafte Erkrankungen, heisst es in einem «Science»-Artikel (Pdf) aus dem Jahr 1982. Doch auch sie wurden hin und wieder mal krank. Dann verliessen sie ihr Tal und suchten in der Zivilisation medizinischen Rat. Ihr Erscheinen sorgte jeweils für Entsetzen.
«Ich war zu Tode erschreckt! Sie sah aus, als hätte sie einen Herzinfarkt.»
«Ich war zu Tode erschreckt! Sie sah aus, als hätte sie einen Herzinfarkt», erinnerte sich Krankenpflegerin Ruth Pendergrass später an ihre erste Begegnung mit einer Fugate-Angehörigen in den 1950er-Jahren. «Ihr Gesicht und ihre Fingernägel waren fast indigoblau.» Die Frau habe ihr erzählt, dass sie zu den «blue Combses» gehören würde und mit den Fugate-Frauen verwandt war. Fälle wie dieser brachten den Hämatologen Madison Cawein auf die Spur der «blauen Menschen von Kentucky».
Erbkrankheit und Inzest
Der auf Blut spezialisierte Mediziner untersuchte nach und nach verschiedene Familienmitglieder. Er erkannte: Das Blau der Haut war auf eine sehr seltene Erbkrankheit zurückzuführen, die sogenannte Methämoglobinämie. Diese hindert das Hämoglobin (siehe Box) daran, Sauerstoff zur Haut zu transportieren. Grund dafür ist das Fehlen des Enzyms Diaphorase, das Methämoglobin in Hämoglobin umwandelt. Bei den Betroffenen ist das arterielle Blut daher bräunlich statt rot, was bei Personen mit eigentlich heller Haut zu einem mehr oder minder ausgeprägten Blauton (Zyanose) führt.
Die Erbkrankheit tritt nur dann auf, wenn beide Elternteile das rezessive Gen besitzen. Das kommt angesichts der Seltenheit des Defekts nur sehr, sehr selten vor. Doch bei Martin und Elizabeth Fugate war das der Fall. Da die Familie so abgelegen lebte, heiratete der älteste Fugate-Sohn die Schwester seiner Mutter. Diese und ähnliche Paarungen setzten sich über die nächsten Generationen fort. Je länger der Inzest betrieben wurde, desto mehr blaue Nachkommen gab es. 1890 soll es ein halbes Dutzend von ihnen gegeben haben.
Hämoglobin?
Hämoglobin ist der rote Blutfarbstoff im Körper. Dieser befindet sich in den roten Blutkörperchen (Erythrozyten). Seine Aufgabe ist es, Sauerstoff zu binden und an die Zellen abzugeben.
Von blau zu weiss
Die blauen Menschen von Kentucky litten unter ihrer Hautfarbe – auch weil sie von anderen gemieden wurden. Und so bemühte sich Cawein um Abhilfe. Diese fand er ausgerechnet im Farbstoff Methylenblau. Das sorgte bei den Fugates und ihren Nachfahren zunächst für Verwirrung: Wie sollte noch mehr Blau sie vom Blausein erlösen? Doch der Hämatologe stützte sich auf Studien – und behielt Recht.
Die Geschwister Patrick und Rachel Ritchie waren die ersten, denen Cawein je 100 Milligramm Methylenblau injizierte. Innerhalb von Minuten wurde ihre Haut «rosa». Dies, weil der Farbstoff hilft, das Methämoglobin wieder in den Normalzustand umzuwandeln. «Sie waren begeistert», so Cawein. Daraufhin habe er allen blauen Familienmitgliedern einen Vorrat an Methylenblau-Tabletten zur täglichen Einnahme gegeben. Denn die Wirkung des Arzneimittels ist vorübergehend, da Methylenblau normalerweise über den Urin ausgeschieden wird.
Gibt es heute noch blaue Fugate-Nachfahren?
Nein. Nachdem die Fugates dank der Tabletten nun normal aussahen und die Gegend zudem besser erschlossen war, zogen die Familienmitglieder weg und pflanzten sich zunehmend mit Personen ausserhalb ihres Familienkreises fort. So ging die Konzentration des rezessiven Gens verloren und es wurde unwahrscheinlich, dass sich zwei Träger des Gens begegneten.
Der letzte bekannte blaue Nachfahre kam 1975 zur Welt: Doch obwohl Benjamin Stacy bei seiner Geburt noch deutliche Anzeichen von Methämoglobinämie aufwies, glich sich seine Hautfarbe bald den Menschen in seiner Umgebung an. Deshalb nehmen Fachleute an, dass er nur den Gendefekt von einem Elternteil geerbt hatte. Solche Menschen neigen dazu, nur bei der Geburt sehr blau zu sein, wahrscheinlich weil Neugeborene normalerweise weniger Diaphorase haben. Das Enzym baut sich schliesslich bei den meisten Kindern auf normale Werte auf.
Andere Gründe für blaue Haut
Nicht immer ist es ein Gendefekt, der die Haut von Menschen blau färbt. 2019 wurde der Fall einer Amerikanerin bekannt, die nach der Einnahme von Schmerzmitteln über blaue Haut klagte. Laut den behandelnden Medizinerinnen und Medizinern hat sie offenbar «eine ganze Menge davon genommen». Das und der Inhaltsstoff Benzocain hatten bei der jungen Frau eine Methämoglobinämie ausgelöst. Auch hier schaffte die Gabe von Methylenblau Abhilfe.
2021 schlugen zwei Fälle aus dem Kanton Jura hohe Wellen, bei dem die spontane Blaufärbung der Haut laut den Ärztinnen und Ärzten auf eine Silbervergiftung (Argyrie) zurückzuführen und nicht rückgängig zu machen war: Die Betroffenen hatten Silberpartikel in Milch aufgelöst und getrunken. Dies wohl in der Absicht, mikrobielle Infektionen zu bekämpfen. Die orale Anwendung von Silber ist in der Schweiz zwar verboten, für die äusserliche Anwendung gedacht ist es jedoch im Internet frei erhältlich.
Die wohl berühmteste Person mit Argyrie war der 2013 im Alter von 62 verstorbene Paul Karason, auch bekannt als «Papa Schlumpf».
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