Vergleich mit TschernobylFukushima ist «ein völlig anderer Unfall»
Fukushima und Tschernobyl stehen auf der gleichen Ereignis-Stufe. Doch die beiden Unfälle sind sehr verschieden: In Japan verläuft der GAU langsamer – und unberechenbarer.
- von
- pbl
Anton Treier vom ENSI zum Vergleich mit Tschernobyl. (Video: Keystone)
Die japanische Atomsicherheitsbehörde (NISA) hat den Atomunfall von Fukushima am Dienstag auf die Stufe 7 der Internationale Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INES) heraufgestuft. Damit hat die Katastrophe eine neue Dimension erreicht, denn auf dieser Stufe befand sich bislang nur das Reaktorunglück von Tschernobyl vor 25 Jahren. Entsprechend besorgt reagierten vor allem die Anwohner der Nuklearanlage.
Lassen sich die Katastrophen aber wirklich miteinander vergleichen? Experten verweisen auf fundamentale Unterschiede. In der Ukraine ereignete sich eine Explosion, bei der enorme Mengen radioaktives Material in die Atmosphäre geschleudert wurden. Dieses breitete sich über weite Teile Europas aus, Spuren der Strahlung werden bis heute gemessen. Bei Tschernobyl habe es sich um einen «Instant-GAU» gehandelt, so Spiegel Online.
Ein «GAU auf Raten»
Fuskushima hingegen sei ein «GAU auf Raten». Seit dem Tsunami vom 11. März kam es zu einer Serie von Einzelereignissen. Dabei trat deutlich weniger Radioaktivität aus als in Tschernobyl. Experten gehen von fünf bis zehn Prozent der dortigen Menge aus. Ein grosser Teil der Strahlung wurde zudem ins Meer gespült oder auf den Pazifik getrieben. Auch die Arbeiter dürften weit weniger stark kontaminiert worden sein als die «Liquidatoren» in der Ukraine.
Die Heraufstufung von Fukushima wird deshalb relativiert, zumal es keine höhere Stufe gibt als 7. Der Unfall in Japan befinde sich am unteren und Tschernobyl am oberen Ende dieser Stufe, sagte etwa Francis Livens, Forschungsleiter am Dalton Nuclear Institute in Manchester, zu CNN: «Fukushima ist ein sehr, sehr ernster Zwischenfall, Tschernobyl hingegen war eine Katastrophe.» Auch Denis Flory von der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) betonte am Dienstag, Fukushima sei «ein völlig anderer Unfall».
Weitere Strahlung befürchtet
Eine Entwarnung ist deswegen nicht angebracht. Der Kampf um Fukushima ist keineswegs gewonnen, nach wie vor kommt es regelmässig zu Zwischenfällen. Erst am Dienstag war auf dem AKW-Gelände ein Feuer ausgebrochen. Selbst die Betreiberfirma Tepco räumte ein, dass weiterhin Strahlung freigesetzt werden könnte. Letztlich könne sogar «mehr Radioaktivität in die Umwelt gelangen als in Tschernobyl». Die Wahrscheinlichkeit dafür sei jedoch extrem niedrig.
Auch der deutsche Umweltschutzverband BUND hält es für möglich, dass die Folgen des Desasters in Fukushima die von Tschernobyl noch übersteigen. «Wir sind erst am Anfang der Katastrophe», sagte BUND-Energieexperte Thorben Becker der Nachrichtenagentur DAPD. «Es könnte über Tschernobyl hinausgehen.» Klar ist: Die Bewältigung der Katastrophe wird noch sehr lange dauern, vermutlich Jahre. Bereits wird über eine weitere Ausdehnung der Evakuierungszone in Japan spekuliert.
Ein Sarkophag wie in Tschernobyl?
Selbst ein Sarkophag, der die Unglücksreaktoren versiegeln soll, wird von Tepco nicht ausgeschlossen. Ein solcher bietet jedoch keine absolute Sicherheit, wie das Beispiel Tschernobyl zeigt. Die dortige Betonhülle erwies sich bereits nach kurzer Zeit als brüchig. Experten fürchten, dass Wasser eindringen und erneut Radioaktivität freisetzen könnte. Nun soll ein neuer Stahlsarkophag gebaut werden, der die Umgebung für 100 Jahre vor Strahlung schützen soll. Plutonium, wie es in Fukushima verwendet wurde, strahlt für Jahrtausende.