Ligue 1Fussball verrückt in Frankreich
Die Ligue 1 in Frankreich wird in diesem Jahrhundert von Olympique Lyonnais dominiert. Doch plötzlich ist diese Vorherrschaft vorbei und sechs Teams können Meister werden. 20 Minuten Online beleuchtet die Situation und kennt die Schuldigen.
- von
- Herbie Egli
Wie schlimm muss es sein, ein jugendlicher Fussballfan in Frankreich zu sein? Dort spielen 20 Teams um Würde und Ehren, doch am Ende gewinnt immer Olympique Lyonnais. Im östlichen Nachbarland wurde Lyon zuletzt sieben Mal in Folge Meister. Langweilig war es, denn Kinder kennen gar keinen anderen Sieger als Lyon. Doch in diesem Jahr ist alles anders: Sechs Teams sind nur durch vier Punkte getrennt an der Tabellenspitze und erstmals seit langer Zeit ist der Titelkampf wieder spannend. In keinem anderen Land Europas geht es so eng zu und her. Die Gründe dafür sind finanzieller Art.
Solidaritätsprinzip gekippt
Der Umschwung kam schnell, zu schnell. Die grossen Vereine mit internationaler Reputation und einer grossen Fangemeinde sind die Imageträger der Ligue 1 – und sie planten die Revolution. Es ging ums Geld, wie sollte es anders sein. Das Solidaritätsprinzip bei der Verteilung der Fernsehgelder wurde im letzten Jahr gekippt. Vereine wie Marseille, PSG, Bordeaux und Lyon, aber auch St. Etienne, Toulouse und Lille erhalten nun deutlich mehr aus dem grossen Topf als die «Kleinen» der Liga. Kleine Städte mit weniger Zuschauern, keine echten Erfolge, international unbedeutend und keine Tradition, schimpfte man über Caen, Valenciennes, Lorient und andere.
Warum sollen diese profitieren, wenn im TV immer nur Spiele von OM, PSG und Lyon gezeigt werden? Die «Grossen» drohten damit, aus der gemeinsamen Vermarktung komplett auszusteigen. Damit wäre jeder Klub gezwungen, seine Übertragungsrechte selbst zu verhandeln, doch welche TV-Anstalt bezahlt eine grössere Summe, um Heimspiele von Lorient, Valenciennes oder Caen zu übertragen? Die Erpressung gelang und es wurde ein neuer Verteilerschlüssel erarbeitet.
Geldgier als Bumerang
Die grösste der treibenden Kräfte war Jean-Michel Aulas, Präsident von Olympique Lyonnais. Er wollte endlich auch international mithalten können und griff mit seinem Fingern gierig nach allem, was wie Geld aussah. Endlich die Teams aus England, Spanien und Italien zu schlagen war sein Traum. Doch der Griff nach den TV-Geldern wurde zum Bumerang, denn auch die anderen, traditionsreichen Vereine Frankreichs profitierten und hatten nun prozentual zum Saisonetat sogar noch mehr finanzielle Spielräume. Damit stärkte Lyon die direkte Konkurrenz indirekt mehr, als es den Fussballbossen in der Rhône-Metropole lieb sein konnte. Ein klassisches Eigengoal.
Das gute und das schlechte Beispiel
Was die Lyon-Verfolger mit dieser Kohle dann aber im letzten Sommer anstellten, war entscheidend. Vereine wie Toulouse, Bordeaux und Lille gingen ihren gradlinigen Weg der Vereinspolitik weiter. Bemerkenswert jedoch ist der Wandel von Paris St. Germain. Im Vorstand herrschte plötzlich Ruhe, Trainer Paul Le Guen durfte arbeiten und seine Mannschaft wurde sinnvoll ergänzt. Aber gleich auf sechs, sieben Positionen der Stammelf. Die Kicker aus dem Prinzenpark sind in dieser Saison so etwas wie die Überflieger der Ligue 1. Den Parisern ist in dieser Saison alles zuzutrauen. Ein Beispiel, wie man es nicht machen sollte, gibt es jedoch auch: «Les Verts», die Grünen, wie man die Spieler der AS St. Etienne nennt, hatten fünf Jahre nach der Rückkehr ins Oberhaus den Uefa-Cup erreicht, doch die Schlüsselspieler liess man in diesem Sommer ziehen. Jetzt befindet sich der Traditionsklub aus dem Zentralmassif wieder in akuter Abstiegsgefahr.
Vereinsentwicklung im Windschatten
Mindestens ebenso bemerkenswert ist auch die Entwicklung des FC Toulouse und von Grenoble Foot 38. Es sind zwei ganz unterschiedliche Vereine, zwei komplett unterschiedliche Philosophien, doch beide gehen ihren eingeschlagenen Weg und profitieren vom Windschatten der grossen Clubs. In Grenoble sieht man, wie der Einstieg eines ausländischen Investors auf eine vorbildliche Art und Weise Früchte tragen kann. Erst die sportliche Basis, dann ein neues Stadion. Und in Toulouse geht man seit Jahren einen Weg der kleinen Schritte: Erst das neue Stadion - in Augen der Experten «das Stadion» des 21. Jahrhunderts - um anschliessend beharrlich, gradlinig und zielstrebig auf Kurs zu bleiben. Unabhängig von jeglicher Diskussion über das Geld, machen auch solche Vereine die Ligue 1 so interessant.