Rede vor der UNO: Gaddafi attackiert Supermächte und Westen

Aktualisiert

Rede vor der UNOGaddafi attackiert Supermächte und Westen

In seiner Rede vor der UNO forderte Muammar al-Gaddafi die Abschaffung des Vetorechts im Sicherheitsrat. Er lobte den neuen US-Präsidenten und verlor kein Wort zum Konflikt mit der Schweiz.

von
pbl

In seiner langfädigen Rede, bei der er immer wieder in seinem Manuskript blättert, widmet sich Gaddafi als erstes einer Reform der Vereinten Nationen. Er erinnert daran, dass die UNO nach dem Zweiten Weltkrieg in San Francisco gegründet wurde. Der Sicherheitsrat sei zusammengesetzt aus den einstigen Gegnern Deutschlands. Die Prämabel der UNO halte aber fest, dass alle Nationen gleich sind, egal ob gross oder klein. Das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder sei gegen die Charta: «Wir anerkennen und akzeptieren das nicht.»

Die Supermächte würden die kleinen Staaten unterdrücken. «Wir weisen dies deutlich zurück», sagt der Revolutionsführer. Libyen werden nicht zustimmen, dass mehr grosse Staaten einen Sitz im Sicherheitsrat haben. Wenn man Indien einen Sitz gebe, wolle Pakistan auch einen, und wenn Japan Anspruch erhebe, werde Indonesien als grösstes muslimisches Land nachziehen. Die Generalversammlung müsse zu Lasten des Sicherheitsrats aufgewertet werden und dessen Vorgaben folgen, fordert Gaddafi.

«Die Versammlung der Welt»

Der Sicherheitsrat soll zum Organ werden, dass die verschiedenen Hemisphären repräsentiert. Die Europäische und die Afrikanische Union müssten einen Sitz erhalten, ebenso die islamischen Staaten. Aber die Generalversammlung ist «die Versammlung der Welt». Eine entsprechende Resolution soll zur Abstimmung kommen. Aber der Sicherheitsrat darf nicht mehr von den Nuklearmächten dominiert werden, «das ist Terrorismus». Der Sicherheitsrat sollte Terrorrat genannt werden.

Gaddafi klagt, dass Resolutionen des Sicherheitsrats nur gegen kleine Länder – wie Libyen – und nie gegen die Supermächte verhängt werden. Diesem Aspekt widmet sich der Diktator besonders intensiv. Ausserdem fordert er als Vorsitzender der Afrikanischen Union einen ständigen Sitz für Afrika, und das nicht zuletzt für die Ausbeutung der Vergangenheit. Die Europäer haben die Ressourcen von Afrika, Asien und Lateinamerika gestohlen. Afrika verdiene «Billionen» an Kompensation. Er erwähnt die ehemalige Kolonialmacht Italien in dieser Hinsicht als positives Beispiel.

Gaddafis Lob für Obama

Explizit lobt Gaddafi Obama, den «Sohn Afrikas». Seine Rede vor der UNO unterscheide sich von den Ansprachen bisherigen Präsidenten: Diese haben «Desert Storms» und «Rolling Thunders» gesandt. Gaddafi nutzt die Gelegenheit zu einer Abrechnung mit der US-Politik, nicht zuletzt mit dem von Ronald Reagan 1986 angeordneten Angriff auf Libyen. Obama aber schlage einen vollständig anderen Ton an. Es sei richtig wenn er sage, «dass Demokratie nicht von aussen aufgezwungen werden kann».

Dennoch geht es nicht ohne Stichelei: Gaddafi stellt New York als UNO-Hauptsitz in Frage. Amerika werde von Terroristen bedroht und habe das Recht, alle Sicherheitsmassnahmen zu ergreifen. «Wir aber müssen uns dem nicht unterwerfen.» Man habe seinem Kopiloten nicht erlaubt, nach Amerika zu kommen, klagt Gaddafi. Die UNO-Delegierten würden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt «wie die Gefangenen in Guantánamo». Gaddafi verlangt eine Abstimmung über eine Verlegung des Hauptsitzes nach Peking oder Delhi.

Rundumschlag gegen westliche Kriege

Inzwischen dauert die Rede mehr als eine Stunde. Muammar al-Gaddafi setzt zu einem weiteren Rundumschlag gegen den westlichen Imperialismus an und erwähnt den Suez- oder den Korea-Krieg, die Interventionen in Grenada und Somalia. Den Irak-Krieg bezeichnet er als «Mutter allen Übels». Die UNO müsse eine Untersuchung aufnehmen, denn es handle sich um einen schweren Verstoss gegen die Charta der Vereinten Nationen. Mehr als 1,5 Millionen Iraker seien getötet worden. Der Internationale Strafgerichtshof müsse über die Verursacher urteilen, nicht nur über Taylor oder Bashir.

Gaddafi redet sich so richtig in Rage, er erinnert an die Hinrichtung von Saddam Hussein von Leuten, deren Identität man nicht kenne. Die UNO müsse aufklären, wer das Todesurteil verhängt hat. Der Skandal von Abu Ghraib sei «eine Schande für die Menschheit». Das sei ein Verstoss gegen die Zivilisation, schimpft Gaddafi und haut mit der Faust aufs Pult. Auch der Krieg in Afghanistan soll untersucht werden.

Redezeit ist längst überschritten

Das Ganze wird immer abstruser. Nun verlangt Gaddafi auch eine neue Untersuchung des Kennedy-Attentats und der Ermordung von Martin Luther King. Die Rede dauert bald 90 Minuten. Offiziell wären eigentlich nur 15 Minuten erlaubt. Doch für einen Gaddafi gelten eben andere Gesetze. Das Plenum der Vollversammlung hatte sich bei Gaddafis Rede etwa zur Hälfte geleert. Auch US-Aussenministerin Hillary Clinton und die amerikanische UN-Botschafterin Susan Rice verliessen den Saal.

Jetzt hat ihm jemand einen Zettel gereicht, vermutlich mit der Aufforderung zum Aufhören. Doch Gaddafi denkt nicht daran und hält eine Vorlesung zum Israel-Palästina-Konflikt. Die Araber würden aber keine Feindseligkeit gegenüber Israel empfinden. Man habe die Juden immer beschützt. Damit unterscheidet sich der Libyer zumindest vom Iraner Mahmud Ahmadinedschad. Dann kommt er endlich zum Schluss, mit einem versöhnlichen Appell für Humanität und Toleranz.

Zur Schweiz hat Gaddafi kein Wort verloren.

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