EinschätzungGaddafi, die dankbare Zielscheibe
Früher ging es um Erdöl oder Terrorismus, heute bombt der Westen im Namen der Menschlichkeit. Wenn aber sogar die Saudis mitmachen, sind Zweifel angebracht.
- von
- Kian Ramezani
1991 griff der Westen zu militärischen Mitteln, um Saddam Hussein aus Kuwait zu vertreiben. Damals ging die Angst um, der irakische Diktator könnte sich weitere Kleinststaaten am Persischen Golf und ihre Erdölquellen einverleiben. Zwölf Jahre später und wieder im Irak dienten Massenvernichtungswaffen als Kriegsgrund (die allerdings nie gefunden wurden). Afghanistan und Somalia galten (und gelten) als Terrorbasen für Al Kaida. Allen gemeinsam ist, dass sich der Westen in irgendeiner Weise bedroht und deshalb zum Handeln gezwungen fühlte.
In Libyen liegt der Fall heute anders. Muammar Gaddafi ist keine Bedrohung mehr für die Welt, sondern für sein eigenes Volk. Trotzdem peitschte der Westen im UNO-Sicherheitsrat in Rekordzeit – den libyschen Rebellen und der Öffentlichkeit mag sie endlos vorgekommen sein – die Errichtung einer Flugverbotszone durch. Sein militärisches Eingreifen ist damit völkerrechtlich abgesegnet. Die Frage aber bleibt: Wie wurde Libyen – ein Wüstenland mit 6,5 Millionen Einwohnern und weniger als vier Prozent der weltweiten Erdölreserven – zum internationalen Kriegsschauplatz?
Wer A sagt, muss auch B sagen
Der Westen verteidigt in Libyen keine nationalen Interessen im eigentlichen Sinn, sondern versucht, sein ramponiertes Ansehen in der arabischen Welt aufzupolieren. Seit dem Irakfeldzug und dem Afghanistankrieg sind seine Militärinterventionen verpönt. Dazu kam die langjährige, wohlwollende Haltung gegenüber den sogenannt gemässigten, aber autoritären Regimes in Tunesien und Ägypten. Als diese unter den Aufständen wankten und schliesslich fielen, stürzte der Westen zunächst in ein Dilemma.
Gaddafis Libyen bot eine höchst willkommene Gelegenheit, zum ersten Mal im Einklang mit einer arabischen Bevölkerung die Absetzung ihres Despoten zu fordern. Diese Gelegenheit wurde ergriffen. Die Lage entwickelte sich aber nicht so wie zuvor in Tunesien und Ägypten. So war der Westen gezwungen, seiner ätzenden Kritik auch Taten folgen zu lassen. Ansonsten wäre das Bisschen Glaubwürdigkeit, das man sich durch die lautstarke Kritik an Gaddafi erarbeitet hatte, schnell wieder verpufft.
Sarkozys Profilierungsneurose
Darüber hinaus lassen sich bei einzelnen Nationen auch Partikularinteressen ausmachen. In Frankreich etwa wird Präsident Sarkozy in den Umfragen gerade von Marine Le Pen rechts überholt. Der Militäreinsatz in Libyen und Frankreichs Anspruch auf die Führungsrolle sind eine hervorragende Gelegenheit, konservativen Wählerschichten klarzumachen, dass es eine Partei rechts von Sarkozy nicht braucht. Der Streit, der inzwischen innerhalb der Nato ausgebrochen ist, verdeutlicht, dass die Führungsfrage für Frankreich mindestens so wichtig ist wie der Einsatz an sich – wenn nicht wichtiger.
Ebenso lässt sich das beherzte Eingreifen des beinahe bankrotten Grossbritannien als Versuch interpretieren, der Welt zu zeigen, dass man trotz dramatischer Kürzungen im Verteidigungsbudget weiterhin in der Lage ist, in einer Militärintervention eine bedeutende Rolle zu spielen.
Widerspruchsfrei ist diese Haltung freilich nicht. In Libyen zieht die Tötung von Zivilisten harsche Kritik und eine Flut von Marschflugkörpern nach sich, in Jemen und Bahrain nicht. Die beiden Länder sind wichtige Stützen im Kampf gegen den Terrorismus und eignen sich deshalb nicht für eine humanitär motivierte Militärintervention. In Libyen mag Instabilität als Risiko hinnehmbar sein, auf der Arabischen Halbinsel und am Persischen Golf nicht.
Doppelspiel der Golfmonarchien
Auch im arabischen Lager gibt es eine Vielzahl von Motiven für die Unterstützung der Militärintervention in Libyen. Die für den Westen eminent wichtige Zustimmung der Arabischen Liga bezeichnet die israelische Tageszeitung «Haaretz» als «symbolische Geste»: Die Organisation könne so etwas zur Beilegung der Krise beitragen, obwohl sie weiss, dass ihr selbst der Einfluss zur Lösung irgendeines Konflikts im Nahen Osten fehlt. Für Ägypten könnte es ein erster Test gewesen sein, seiner eigenen Bevölkerung zu zeigen, dass man es mit den Menschenrechten tatsächlich ernst meint.
Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate signalisieren sogar offen Bereitschaft zu einer direkten Beteiligung an der Aktion. Damit versuchen sie offensichtlich, von ihrer eigenen Militärintervention in Bahrain abzulenken, die sich gegen die schiitische Bevölkerungsmehrheit richtet.
Libyen und Gaddafi sind eine dankbare Projektionsfläche für die verschiedensten Interessen der bunt zusammengewürfelten Allianz. Sollte das Abenteuer gut ausgehen, könnte jedes Mitglied einen kleinen Sieg davontragen und für seine Zwecke weiterverwenden. Sollte sie hingegen schiefgehen, wäre das ein böser Dämpfer für den arabischen Frühling.