Dachverband: «Gastrosuisse sieht bei sexueller Belästigung in der Branche weg»

Aktualisiert

Dachverband«Gastrosuisse sieht bei sexueller Belästigung in der Branche weg»

Die Gastrosuisse erhebt keine Daten zu sexuellen Übergriffen in der Branche und sieht keinen Handlungsbedarf. Betroffene und Gewerkschaften widersprechen.

von
Tim Haag
Christina Pirskanen
1 / 6
Sexuelle Belästigung in der Gastronomie ist ein Problem. Das zeigen Zahlen und Expertenaussagen. 

Sexuelle Belästigung in der Gastronomie ist ein Problem. Das zeigen Zahlen und Expertenaussagen. 

Pexels
Auch bei 20 Minuten haben sich diverse Betroffene gemeldet. 

Auch bei 20 Minuten haben sich diverse Betroffene gemeldet. 

Getty Images
Anders sieht das der Branchenverband Gastrosuisse, dem keine Fälle bekannt seien. Der Verband sieht keinen Handlungsbedarf. 

Anders sieht das der Branchenverband Gastrosuisse, dem keine Fälle bekannt seien. Der Verband sieht keinen Handlungsbedarf. 

Getty Images

Darum gehts

  • Der Branchenverband Gastrosuisse sieht keine Probleme mit sexueller Belästigung in der Gastronomie – weder von der Kundschaft, noch durch Mitarbeitende. 

  • Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: In Zürich haben die Anfragen wegen sexueller Belästigung innert drei Jahren um 25 Prozent zugenommen. 

  • Schon kam eine nationale Erhebung zum Schluss, dass die Gastrobranche zu den problembehaftetsten gehöre. 

  • Für Aude Spang von der Unia ist die Gastrosuisse-Aussage «ein Hohn für alle Betroffenen». Es bestehe dringend Handlungsbedarf. 

Das ist passiert

In einem Artikel zur Sexismus-Debatte in der Schweiz sagte der Verband für Hotellerie und Restauration Gastrosuisse gegenüber der NZZ, dass im Bereich Gastronomie und Hotellerie keine Fälle von sexuellen Übergriffen bekannt seien. Es bestehe kein Handlungsbedarf. 

Sagt das Gastrosuisse wirklich?

Gastrosuisse erhebe keine Daten zu sexuellen Übergriffen in der Branche, bestätigt ein Mediensprecher gegenüber 20 Minuten. «Uns sind keine Fälle bekannt, weder zwischen Gästen und Mitarbeitenden noch intern», sagt er. Der Verband sehe damit keinen Handlungsbedarf.

Auch dem kantonalen Verband Gastrozürich sind laut Präsident Urs Pfäffli keine Vorfälle bekannt. Das liege daran, dass die meisten internen Fälle vom Betriebsinhaber selbst gelöst und nicht vermeldet würden, erklärt er. «Und wenn ein Gast übergriffig wird, hilft die Polizei und es kommt eventuell zur Anzeige.» Die Gastronomie sei für ihn eine «Lebensschule mit Herausforderungen, wo die Mitarbeitenden im Umgang mit schwierigen Gästen geschult werden.»

Das sagt die Branche

Wie verbreitet sexuelle Übergriffe in der Branche wirklich sind, sei schwierig zu beurteilen, sagt Alexander Bücheli, Pressesprecher der Bar- und Clubkommission Zürich. Besonders Übergriffe innerhalb eines Betriebs seien aufgrund der Abhängigkeitsverhältnisse und Machtgefälle oft Tabuthema und würden meist totgeschwiegen. «Schliesslich ist sexualisierte Gewalt aber ein gesellschaftliches Phänomen, das gesamtgesellschaftlich angegangen werden muss und nicht von der Gastrobranche allein gelöst werden kann.»

Betroffene: «Ich war schockiert und angeekelt»

N.* (31) erlebte sexuelle Belästigung, als sie als 20-jährige Studentin in einem prestigeträchtigen Zürcher Restaurant arbeitete: «Der Küchenchef hob mich aus dem Nichts von hinten hoch, während ich einen Eiswagen schob, und stiess sein Becken zwischen meine Beine.» Sie sei schockiert gewesen, doch die anderen Mitarbeiter hätten nur gelacht. Den Vorfall habe sie niemandem gemeldet.

Eine weitere Leserin (24) arbeitete rund sieben Jahre in der Gastronomie. «Einer der Stammgäste streichelte einer Kollegin regelmässig über die Beine und machte sexistische Sprüche.» Auch sie selbst wurde belästigt: «Einmal kam er von hinten auf mich zu und massierte meine rechte Brust.» Sie sei schockiert und angeekelt gewesen und habe es ihrem Vorgesetzten gemeldet – dieser unternahm jedoch nichts.

Gibt es Zahlen?

Die Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich verzeichnete eine Zunahme von über 25 Prozent bei Beratungsanfragen im Jahr 2022, verglichen mit 2019. Die meisten Anfragen würden von Arbeitnehmenden aus der Pflege, Gastronomie und Bildung stammen. Eine Studie des Nationalen Forschungsprogramms zur Gleichstellung der Geschlechter (NFP 60) kam bereits 2013 zum Schluss, dass das Gastgewerbe zu den Branchen mit überdurchschnittlich vielen Vorfällen gehöre.

Gewerkschaft: «Gastrosuisse-Aussage ist ein Hohn für Betroffene»

«Nur weil der Gastrosuisse keine Fälle bekannt sind, heisst das nicht, dass es keinen Handlungsbedarf gibt», sagt Aude Spang, Gleichstellungssekretärin bei der Unia. «Die Gastrosuisse verschliesst die Augen, was ein Hohn ist für alle Betroffenen.» Die Unia wisse ganz klar, dass es in allen Branchen sexuelle Belästigungen und Übergriffe gibt und es vor allem in der Gastrobranche viele Fälle gebe. Dass die Gastrobetriebe bei Belästigungen automatisch die Gäste vor die Tür setzten oder Mitarbeitende und vor allem Vorgesetzte entliessen, glaubt Spang nicht. «Das ist ein schönes Kindermärchen, ist aber überhaupt nicht das, was in der Realität passiert.» 

*Name der Redaktion bekannt.

Warst du schon einmal von sexueller Belästigung betroffen? 

Keine News mehr verpassen

Mit dem täglichen Update bleibst du über deine Lieblingsthemen informiert und verpasst keine News über das aktuelle Weltgeschehen mehr.
Erhalte das Wichtigste kurz und knapp täglich direkt in dein Postfach.

Deine Meinung

60 Kommentare