Grausame Gäste
Ich habe schon öfters am Männergeschmack meiner Freundinnen gezweifelt und vorgestern hat es mir mal wieder die Sprache verschlagen.
Meine letzten Zeilen handelten von der Reberziehung; der neue Freund (jetzt Ex-Freund) meiner Freundin verhielt sich alles andere als wohlerzogen.
Beim Apéro war er noch einigermassen unauffällig. Freilich irritierte es mich etwas, dass er mir unaufgefordert seine Uhr („eine von ganz vielen") zeigte und mir verriet mit welchem Auto („dem kleinen, schnellen") er meine Freundin hergefahren habe („der grosse ist im Service") aber janu ... meine Freundin meinte, er sei halt wohl ein bisschen nervös.
Als ich die Gäste bat sich zum Esstisch zu begeben fragte der Kerl: „wo ist denn der Wein?" Ich dachte, er wolle ihn für mich öffnen, freute mich über die nette Geste und liess ihn wissen, dass die Weine bereits entkorkt seien. Er wollte dennoch unbedingt die Flasche sehen.
Ich übergab ihm eine der Flaschen, der Kerl zückte sein („neustes special Version") Mobile, fotografierte die Etikette und wischte auf dem Display herum.
Fragend sah ich den Kerl an. Dieser meinte nonchalant: „ich trinke eben nix unter 50 Stutz und mit dieser App sehe ich grad was er kostet."
Mir fehlten die Worte und ich blickte bloss betreten meine Freundin an welche ihrerseits den Boden anstarrte.
Mein Mann, welcher von all dem nichts mitbekam da er sich in der Küche um das Essen kümmerte, löste die surreale Situation in dem er mit der dampfenden Lasagne ins Esszimmer kam und freudig fragte: „Habt ihr den Wein schon eingeschenkt? Haben wir in Aktion gekriegt, kostete keine 30 Franken."
Ich hätte meinen Mann am liebsten auf der Stelle abgeknutscht.
Natürlich habe auch ich schon von diesen Wein Apps gehört. Doch hätte er das nicht etwas dezenter oder noch besser heimlich machen können? Nunja. Wein kann man kaufen; Stil muss man haben.
Bei dem Wein handelte es sich übrigens um diesen grossartigen Amarone. Der Kerl bekam nur ein ganz kleines Schluckerl ... natürlich und wenig überraschend bediente er sich jedoch rasch selber.
Nach Hause fuhr er dann alleine in seinem kleinen, schnellen Auto – und meine Freundin übernachtete bei uns.