Grosses Wahl-InterviewSVP-Chef Marco Chiesa gibt Ausländern Schuld an Prämienschock
Im Interview spricht SVP-Präsident Marco Chiesa über die Posse um den Wahlkampfsong, seine Beziehung zur Familie Blocher, seine drohende Abwahl und den Prämienschock.
20 Minuten traf SVP-Boss Marco Chiesa in seinem Chalet in der Nähe der Lenzerheide zum Wahlkampf-Interview. Hier siehst du die wichtigsten Aussagen des Tessiner Ständerats.
Darum gehts
SVP-Präsident Marco Chiesa macht «linke Kreise» für die Sperrung des Wahlkampfsongs verantwortlich.
Die Schuld für die auch 2024 steigenden Krankenkassenprämien schiebt er auf Zuwanderung und Asylsuchende.
Privat gibt sich der 48-Jährige als Familienvater, der sich über den Handy-Konsum seiner Kinder aufregt.
Marco Chiesa, wir treffen Sie in Ihrem Chalet, wo Sie die Sommerferien verbringen. Was bedeutet Ihnen dieser Ort?
Mein Vater ist Jäger und kommt seit Jahrzehnten hier in die Gegend um die Lenzerheide. Und meine Frau, die aus dem Berner Oberland stammt, sammelt hier Pilze. Ich selbst kann hier meine Batterien aufladen.
Können Sie es sich leisten, im Wahljahr so lange Ferien zu machen?
Ich bin Parteipräsident, aber auch Vater von zwei Kindern im Teenageralter, die Sommerferien haben. Als Vater möchte ich im Familienalltag präsent sein. Ich kann auch in der Lenzerheide arbeiten und von hier aus Termine wahrnehmen.

Marco Chiesa macht «politisches Kalkül» hinter der Sperrung des SVP-Wahlkampfsongs aus, erklärt er.
Letzte Woche lancierten Sie ein neues Wahlkampf-Video. Gefällt Ihnen der Song «Das isch d SVP» wirklich?
Ja, der Song von DJ Tommy ist sehr sympathisch, mir hat er hervorragend gefallen. Ich habe aber mit grossem Erstaunen gelesen, dass er von Youtube gesperrt wurde.
Ja, Sie haben abgekupfert, der Refrain klingt wie «We are Family». Das ist ziemlich peinlich für die grösste Partei.
Da steckt doch viel politisches Kalkül dahinter. Linke Kreise haben bewusst versucht, den Song zu verbieten. Wir werden sehen, wie sich die Situation entwickelt. Fakt ist, dass Thomas Matter den Song in Eigenregie geschrieben hat.
Ihnen wird immer wieder unterstellt, dass Sie ein Präsident von Blochers Gnaden sind. Was ist daran?
Das ist völlig absurd. Natürlich treffe ich Christoph Blocher immer wieder bei Anlässen und tausche mich mit ihm aus. Und seine Tochter hat meine Frau überzeugt, dass ich der Richtige bin für das Amt. (lacht)
Chiesa weint wegen krankem Vater und nervt sich über Kinder am Handy
Sie sprechen in den sozialen Medien von einem «blutigen Asylchaos» und illustrieren dies mit tragischen Einzelfällen. Ist das wirklich nötig?
Ja, unbedingt. Heute kommen über das Mittelmeer und den Balkan Hunderttausende Asylmigranten mit kriminellen Schlepperbanden nach Europa. Und die Schweiz ist ein beliebtes Ziel. Schauen Sie nach Chiasso, die Lage ist ausser Kontrolle, die Bevölkerung ist wütend. Diebstähle, Einbrüche, Messerstechereien, sexuelle Belästigungen. Wir müssen die Ursache des Problems krimineller Asylmigranten angehen und die Verfahren konsequent ausserhalb der Schweiz durchführen.
Sie attackieren Elisabeth Baume-Schneider immer wieder persönlich. Sie können doch nicht erwarten, dass sie in wenigen Monaten alle Probleme löst.
Statt das Asylchaos zu stoppen, will sie noch Asylanten direkt in die Schweiz einfliegen. Container auf Armee-Arealen aufzustellen, ist auch keine Lösung. Als zuständige Bundesrätin muss sie dafür sorgen, dass dieser Asyl-Strom gestoppt wird. Aber sie ist völlig untätig. Darum braucht es unseren politischen Druck.

Der SVP-Präsident diskutiert mit Christof Vuille, Co-Leiter des Ressorts Politik und Gesellschaft von 20 Minuten, in seinem Chalet in der Nähe der Lenzerheide GR.
Per Volksinitiative kämpfen Sie gegen die «10-Millionen-Schweiz»: Wer soll denn künftig unsere Alten pflegen und uns Kaffee servieren?
Es kommen zu viele und die falschen Ausländer. Heute haben wir einen Fachkräftemangel, obwohl letztes Jahr 180’000 Menschen zusätzlich in die Schweiz eingewandert sind. Da kann doch etwas nicht stimmen.
Ihr Wahlslogan ist deponiert. Was sind denn die «richtigen» Ausländerinnen und Ausländer?
Das sind die Ausländer, welche einen Wert in die Schweiz bringen. Heute profitiert die Schweiz nicht von der Zuwanderung, sondern leidet unter Wohnungsnot, verstopften Zügen, Staus auf den Strassen, Problemen an den Schulen, mehr Kriminalität und Milliarden-Kosten für Asylmigranten.
Vor ein paar Tagen haben Sie die SRG-Initiative eingereicht. Warum wollen ausgerechnet Sie als Tessiner die Medienvielfalt zerstören?
Ich war gegen die No Billag-Initiative, aber viele Tessiner haben dafür gestimmt. Rund 30’000 Unterschriften für die Initiative stammen aus meinem Kanton. Ich plädiere für einen vernünftigen Service public, der mit Gebühren von 200 Franken pro Jahr problemlos realisierbar ist. Ausserdem stört mich der Linksdrall der SRG-Programme.

Marco Chiesa bei der Einreichung der Halbierungsinitiative mit Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri.
Aufgenommen am 10.09.23
Die FDP ist ebenfalls sauer auf SRF aufgrund einiger Beiträge. Hoffen Sie noch, dass die FDP auf Ihre Linie umschwenkt?
Ich bin sehr gespannt, ob die FDP doch noch mitmacht. Viele Jungfreisinnige unterstützen uns bereits, womöglich können sie die Mutterpartei überzeugen. Das wäre eine grosse Hilfe.
Die Krankenkassenprämien werden nächstes Jahr erneut stark ansteigen. Wer ist schuld und wie will die SVP das Problem lösen?
Das Dossier ist seit 2012 in der Hand von SP-Bundesrat Alain Berset. Die Kosten sind seither explodiert, weil jede fünfte Behandlung unnötig ist. Doch nicht nur Berset ist schuld, auch hier spielt die masslose Zuwanderung eine Rolle. 180'000 mehr Personen in der Schweiz heisst, wir brauchen Hunderte Ärzte, Spitalbetten und Pflegekräfte mehr. Das treibt die Kosten nach oben. Hinzu kommt, dass die Asylmigranten medizinische Pflege erhalten, ohne dafür zu bezahlen.
Gibt es eigentlich irgendein Problem, das Sie nicht auf die Zuwanderung zurückführen?
Wir wollen einfach nicht das Hongkong Europas werden. Die Zuwanderung ist die Ursache vieler Probleme: Sehen Sie auf die hohen Mieten, auf die Zubetonierung der Schweiz oder die überlastete Infrastruktur! Wir versuchen, mit unserer Initiative Grenzen aufzuzeigen.
Alain Berset tritt zurück. Würden Sie Daniel Jositsch als guten Bundesrat sehen?
Ja, ich denke, Daniel Jositsch wäre ein guter und wählbarer Kandidat. Die SVP wird die Zauberformel aber respektieren und nur jemanden vom offiziellen Ticket der SP wählen.
Die Organisation «Campax» hat FDP und SVP auf einem Kleber indirekt als Nazis verunglimpft. Die FDP tobte, Sie blieben relativ still. Hat Sie das nicht gestört?
Das war so eine dumme Aktion und eine Verhöhnung der Millionen Holocaust-Opfer. Hinter «Campax» steckt der Grünen-Chef Balthasar Glättli. Er verdient offenbar noch Geld damit. Ich hätte Balthasar etwas mehr Niveau zugetraut.

«Ich hätte es mir einfach machen und auch für den Nationalrat kandidieren können»: Chiesa muss im Kanton um seine Wiederwahl zittern.
Sie gehen teilweise Listenverbindungen mit massnahmenkritischen Parteien wie «Massvoll» ein. War das rückblickend ein Fehler?
Bei Listenverbindungen geht es nur um Mathematik und nicht um gegenseitige Liebe. Ich bevorzuge es, wenn Stimmen aus diesen Kreisen im rechts-bürgerlichen Lager landen und nicht die Linken davon profitieren. Wir haben die klare Botschaft an die FDP ausgesandt, dass wir mit ihr zusammenarbeiten wollen. Das ist aber leider nicht überall gelungen.
Wie hoch ist Stand heute das Budget der SVP Schweiz und Ihr eigenes?
Wir haben aktuell rund 4,5 Millionen Franken auf nationaler Ebene in der Kasse. Im Kanton Tessin verfüge ich über ungefähr 80’000 Franken.
Ihre eigene Wiederwahl als Ständerat ist akut gefährdet. Sind Sie im Dezember noch im Bundeshaus tätig?
Ich hätte es mir einfach machen und auch für den Nationalrat kandidieren können. Aber ich wurde als Ständerat gewählt und stelle mich nur da zur Verfügung. Das ist riskant, aber hat mit den Werten zu tun, die ich vertrete: Ich muss auch mir selbst vertrauen, wenn ich um das Vertrauen der Tessiner Wähler bitte.
Wenn Sie es nicht schaffen: Bleiben Sie nach den Wahlen SVP-Präsident?
Das sind hypothetische Überlegungen, die ich mir nicht mache. Mein Ziel ist es, als Ständerat wiedergewählt zu werden.
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