Haas, Henchoz und Challandes über England
«England steht unter Druck. England muss gegen uns gewinnen. Ein vorzeitiges Ausscheiden wäre eine nationale Katastrophe». So äusserten sich die England-Kenner im Schweizer Lager über den Gegner vom Donnerstag im zweiten EM-Spiel.
Die England-Spezialisten im Schweizer Nati-Camp heissen Bernt Haas, Stéphane Henchoz und U21-Trainer Bernard Challandes. Aussenverteiger Haas spielt bei West Bromwich Albion und ist mit den «Baggies» in die Premier League aufgestiegen. Der Freiburger Henchoz bestritt schon 201 Spiele für den FC Liverpool, hat aber sowohl bei den «Reds» als auch in der Nationalmannschaft seinen einstigen Stammplatz verloren und ist derzeit in der Innenabwehr hinter Murat Yakin und Patrick Müller nur dritte Wahl. «Das ist schade, lässt sich aber momentan nicht ändern», sagt Henchoz lediglich dazu.
Spion Challandes Warnsignale
Der Jurassier Challandes ist in Portugal als Spion unterwegs. Im Auftrag seiner Majestät, Cheftrainer Köbi Kuhn, beobachtet er die Spiele der Schweizer Gegner, notiert und kolportiert jedes Detail. Seine erste Mission war die Partie England - Frankreich: «England hat mir ausgezeichnet gefallen. Das Team bot bis auf die Nachspielminuten perfekten Fussball, war erstklassig organisiert und gewährte den Franzosen keinen Raum. Die Engländer zogen sich wie ein Handorgel zusammmen und ermöglichten Frankreich keine einzige Torchance. In Ballbesitz breiten sie sich aus, kontern schnell, verstehen es aber auch, den Rhythmus zu variieren. England ist ein Klasseteam, ohne Zweifel.»
Challandes schwärmt und warnt vor der soliden Abwehr, dem Tempospiel, den technischen und läuferischen Fähigkeiten des Klassemittelfeldes, von David Beckhams «stehenden» Bällen und von den schnellen Stürmern Michael Owen und Wayne Rooney, «die stets in die Tiefe gehen, wühlen, dribbeln und provozieren.» Challandes ist überzeugt, dass nicht taktische Schlauheit, sondern technische Qualität den Match in Coimbra entscheidet. Ob diese Erkenntnis für die Schweiz spricht? Berechtigte Zweifel sind angebracht.
Englands Tiefschlag beflügelt
Gegen die Schweiz werden und müssen die Schützlinge von Sven-Göran Eriksson anders auftreten: offensiver, risikofreudiger, kreativer. «The Three Lions» sind angeschossen und deshalb umso gefährlicher. «Die Engländer werden den Tiefschlag verkraften. Ihr Selbstvertrauen ist grenzenlos. Sie sind überzeugt von den eigenen Fähigkeiten und zweifeln keinen Moment an einem Sieg über uns», bemerkt Henchoz und fügt an: «Ihre Überheblichkeit könnte eine Chance sein. Wichtig wird sein, dass wir die ersten 20 Minuten unbeschadet überstehen. Sie werden uns sofort unter Druck setzen wollen und das Spieldiktat übernehmen. Wir werden sie aggressiv und unaufhörlich stören müssen.»
Auf einen Schweizer Sieg würde der Klubkollege von Steven Gerrard und Michael Owen aber nicht setzen. Henchoz wettet nie. Er hält sich an Fakten und Tatsachen und stärkt das eigene Selbstvertrauen mit Ergebnissen der Vergangenheit. Vor acht Jahren trotzten die Schweizer im Wembley dem hohen Favoriten im EM-Eröffnungsspiel ein 1:1 ab. Und der FC Basel machte im Europacup gegen Henchoz' Liverpool, Manchester United und auch gegen Newcastle keine schlechte Figur.
England auf die Füsse stehen
Henchoz, Haas und Challandes sind sich aber einig, dass die Schweiz ihre Rendement gegenüber dem torlosen Patt gegen Kroatien deutlich steigern muss. «Obwohl uns England und dessen Spielweise besser liegt als der verspielte kroatische Stil, müssen wir eine maximale Leistung erbringen, um die grosse Überraschung zu schaffen», ist Bernt Haas überzeugt. «Wir müssen den Engländern auf die Füsse stehen. Um jeden Ball müssen wir mit dem gleichen Willen und der gleichen Härte fighten. Nur als Kollektiv können wir bestehen und England mit präzis eingeleiteten und schnellen Kontern entmutigen. Denn individuell sind sie stärker. Lassen wir die Beckham, Owen und Rooney gewähren, hauen sie uns die Hütte voll.»
Eine Niederlage gegen die Schweiz und ein vorzeitiges Ausscheiden wir vor vier Jahren in Belgien und Holland würden die englischen Fans und vor allem deren «giftige» Medien nicht verzeihen. Haas weiss dies: «Fussballstars werden in England wie Götter verehrt. Die Bewunderung für sie ist grenzenlos, die Kritik aber auch messerscharf und oft unter der Gürtellinie.» Nur mit taktischer Schlauheit, Aggressivität, Mut zum Risiko und einer kollektiven Top-Leistung ist die Schweiz in der Lage, für die Sensation zu sorgen und den grossen Katzenjammer im Fussballmutterland auszulösen. (si)