Prozess in Thun«Kaltblütige, egoistische Tat» – Viviane O. muss für Mord an Ehemann 16 Jahre hinter Gitter
Die ehemalige Boxweltmeisterin Viviane O. stand diese Woche in Thun vor Gericht. Am Freitag folgte das Urteil: Für den Mord an ihrem Ehemann muss O. 16 Jahre ins Gefängnis. Zudem wird sie für zwölf Jahre des Landes verwiesen.
- von
- Simon Ulrich
- Lucas Orellano

Darum gehts
Im Oktober 2020 wurde der Wirt des Restaurants Des Alpes in Interlaken tot aufgefunden. Er wurde mit einem Baseballschläger erschlagen.
Angeklagt war seine Frau, die Profiboxerin Viviane O.
Am Freitag sprach das Gericht sein Urteil. Viviane O habe eine «kaltblütige» und «egoistische» Tat begangen.
Deshalb wurde sie wegen Mordes zu 16 Jahren Gefängnis und zwölf Jahren Landesverweis verurteilt. Zudem muss sie 114'000 Franken an die Prozesskosten bezahlen.
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20 Minuten sprach nach der Verhandlung mit dem Anwalt von Viviane O.
Die ehemalige Boxweltmeisterin Viviane O. muss für den Mord an ihrem Ehemann für 16 Jahre ins Gefängnis. Ihr Anwalt bezog gegenüber 20 Minuten Stellung zum Urteil. (Video: 20min/Lucas Orellano/Daniel Schnüriger)
Verhandlung ist zu Ende
Damit kommen wir zum Ende der Verhandlung. «Wir haben intensiv überlegt und abgewogen», fasst der Gerichtspräsident zusammen. «Ich habe dargelegt, warum wir zu diesem Ergebnis gekommen sind. Es ist immer tragisch, wenn man solche Fälle beurteilen muss.»
Die Verhandlung ist damit geschlossen. Herzlichen Dank für das Interesse.
Akute Fluchtgefahr
Sicherheitshaft wird - verliest der Richter nun noch einmal - für drei weitere Monate bewilligt. Dies wegen Fluchtgefahr. Das Gericht geht davon aus, dass die Fluchtgefahr seit der Urteilsverkündung noch angestiegen sei. Die Gefahr, dass sich Viviane O. ins Ausland absetzt und in Brasilien untertauchen könnte, erachtet das Gericht als akut.
Verfahrenskosten
Die Untersuchungshaft und die bisherige Sicherheitshaft werden ihr angerechnet. Sie muss 114’000 Franken der Verfahrenskosten bezahlen, zudem muss sie für Anwaltskosten aufkommen und die Genugtuung bezahlen.
Weitere Verfügungen
Die Sicherheitshaft sei weiterzuführen. Die Gefahr, dass die Beschuldigte das Land verlassen könnte, sei gegeben. Das Gericht sieht eine hohe Fluchtgefahr und ordnet darum drei Monate Sicherheitshaft an.
Die Staatsanwältin beantragte, Besitz von Viviane O. einzuziehen. Das Gericht sieht diese Notwendigkeit nicht und zieht nur den Baseballschläger ein. Alle anderen Gegenstände sind an die rechtmässigen Besitzerinnen und Besitzer herauszugeben.
Viviane O. bleibt stoisch
Viviane O. bleibt nach der Urteilverkündung bisher regungslos und ruhig.
Viviane O. muss 16 Jahre hinter Gitter
Die Staatsanwaltschaft hat 18,5 Jahre Haft und 14 Jahre Landesverweis gefordert. Das Gericht bleibt unter dieser Forderung: Viviane O. muss 16 Jahre hinter Gitter und das Land zwölf Jahre verlassen. Der Landesverweis wird erst nach Absitzen der Haftstrafe aktiv.
Ausserdem erhält die Schwester des Opfers 6000 Franken Genugtuung.
Fazit
«Das Mosaik der Staatsanwältin lässt keine Zweifel offen, dass die Beschuldigte das Opfer umgebracht hat», sagt der Gerichtspräsident. Zum Rechtlichen: Es sei eine heimtückische Tat gewesen, die Tat weise einige Merkmale des Mordes auf - auch wenn es keine lange Planung gegeben hatte.
Dass sie den Film eingeschaltet hatte und das Handy zuhause gelassen hatte, zeigt laut Gericht einen gewissen Planungsaufwand. Und es sei eine kaltblütige, egoistische Tötung gewesen.
Das Gericht wertet die Tat von Viviane O. als Mord.
Die Spannung steigt
Der Gerichtspräsident ist mit seinen Ausführungen fast fertig - mittlerweile hat er auf Schweizerdeutsch gewechselt, wird aber von einer Mitrichterin per Zettel wohl darauf hingewiesen, und wechselt wieder auf Hochdeutsch.
Es sieht nach einer Verurteilung von Viviane O. aus. Aber was für ein Strafmass erhält die Ex-Boxweltmeisterin?
Zeitlicher Ablauf
Zwölftes und letztes Indiz: Der Zeitstrahl. Der Gerichtspräsident geht den Abend noch einmal durch. Alle Indizien passen zusammen.
Elftes Indiz: Ein romantischer FIlm
Indiz elf: Der Film. Die Beschuldigte behauptete in einer SMS, sie sei Joggen gewesen - das sei aber eine Lüge gewesen: Sie habe ein schlechtes Gewissen gehabt. Das Gericht schenkt der Staatsanwaltschaft Glauben, die argumentierte, Viviane O. habe den Film lediglich eingeschaltet um ein Alibi zu haben, während sie ihren Mann tötete. Dafür spricht laut Richter auch, dass der Abspann im Film geschaut wurde. “Das wäre wohl nicht passiert, wenn wirklich jemand den Film geschaut hätte”, so der Richter. Ausserdem wusste O. nichts vom Inhalt des Films.
Der Baseballschläger
Indiz zehn: Baseballschläger. Die Beschuldigte widersprach sich selber drei Mal bei verschiedenen Befragungen, wo der Baseballschläger gelagert gewesen sei. «Es ist unbestritten, dass der Baseballschläger der Beschuldigten gehört hat», sagt der Richter. «Und das ist die Tatwaffe. Natürlich kann den auch eine Drittperson verwendet haben. Aber ein allfälliger Täter, der das Opfer umbringen will, würde sich doch nicht darauf verlassen, dass ein Mordinstrument in der Wohnung parat steht, sondern hätte eine Mordwaffe mitgenommen.»
Kommt dazu, dass man auch am Türrahmen Abdrücke gesehen hat. Es wurde rekonstruiert, wie gross die Person gewesen sein muss, die den Schaden angerichtet hat. Die Grösse von Viviane O. passe besser auf das Grössenprofil als etwa ein Mann. Auch dieses Indiz ist für das Gericht glaubwürdig.
Emotionen
Neuntens: Emotionen. Der Gerichtspräsident zitiert aus einem Bundesgerichtsurteil. Der ausgezogene Ehering, der neben dem toten Opfer gefunden wurde, deute auf einen Ehekonflikt hin. “Dass die Beschuldigte emotional reagiert, haben wir am Montag selber gesehen”, sagt der Richter. Er spricht damit darauf an, dass O. die Staatsanwältin unterbrochen hatte. Auch dieses Indiz sei glaubwürdig.
Blut auf der Trainerjacke
Indiz acht: Es wurde Blut auf der Trainingsjacke der Beschuldigten gefunden. Sie wurde vom Sohn als ihre Jacke identifiziert. Das Blut sei während der Tat auf die Jacke getropft: Glaubwürdig, findet das Gericht.
Blut auf dem Handschuh
Indiz sieben: Laut Gericht ist das Blut auf dem Gummihandschuh-Fragment, das gefunden wurde, weniger aussagekräftig. “Es taugt als belastendes Indiz nur bedingt”, sagt der Richter. Es ist der erste Punkt, in dem das Gericht der Staatsanwaltschaft nicht folgt.
Blut auf den Schuhen
Sechstens: Blutspritzer auf dem Schuhen. Auf den Schuhen von Viviane O. wurde Blut des Opfers gefunden. Das sei dokumentiert, sagt der Gerichtspräsident. Ein Gutachten legte dar, dass das Blut auf die Schuhe gespritzt habe. In Estavayer hat sich das Opfer zwar verletzt, aber das könne nicht der Grund für Spritzer auf den Schuhen sein. “Ich nehme auch Blutverdünner”, sagt der Richter. “Es ist unmöglich, dass die Spritzer von einer eigenen Verletzung sind.”
“Warum würde ich diese Schuhe noch einmal tragen?”, hat Viviane O. argumentiert. “Das ist richtig”, sagt der Richter, “aber das gilt nur, wenn man die Spritzer auch gut sehen kann, was aber nicht der Fall war.”
Auch das sechste Indiz wertet das Gericht als glaubwürdig.
Sichtung an der Tankstelle
Indiz fünf: Der Zeuge an der Tankstelle. Der Automechaniker sagte vor Gericht aus, er habe Lärm gehört, der ihm bekannt vorgekommen war: ein Summen und Quietschen. Die polizeiliche Untersuchung brachte ähnliche Geräusche zutage. Das Gericht erachtet es als entscheidend, dass der Mann den Ton gehört hat. Und es bewertet die Aussagen des Automechanikers als glaubwürdig und geht davon aus, dass er tatsächlich das Auto der Beschuldigten gesehen habe. Der Richter räumt aber ein, dass der Mann nicht gesehen habe, wer das Auto fuhr.
Wird Viviane O. verurteilt?
Die Argumentation des Gerichtspräsidenten deutet bisher auf eine Verurteilung von Viviane O. hin. Anfangs sprach er von zwölf Indizien. Aktuell sind wir bei Indiz fünf und bisher schloss sich das Gericht in allen vier besprochenen Punkten der Argumentation der Staatsanwaltschaft an.
Indiz: Handy
Das Handy: Es wurde vom Strom genommen und elf Sekunden später zerstört. Am Handy wurde DNA des Opfers und auch von Viviane O. gefunden. «Der Umstand, dass das Handy zerstört wurde, ist ein Hinweis für ein Beziehungsdelikt, da muss eine Wut vorhanden gewesen sein», sagt der Richter.
Dies sei von erheblicher Bedeutung. Das Gericht findet auch dieses Indiz glaubwürdig.
Schlüssel und Balkontüre
Ein weiteres Indiz, das der Richter erneut erwähnt: der Schlüssel. Man hat den Wohnungsschlüssel des Opfers nicht gefunden - aber er hat ja den Schlüssel gebraucht um die Wohnung zu betreten. Das Gericht folgert, dass es glaubwürdig sei, dass Viviane O. einen Schlüssel zur Wohnung gehabt habe.
Balkontüre: Die Verteidigung argumentiert, jemand habe sich über die Balkontüre Zugang verschafft. Die Ritze im Fensterrahmen könne aber keine Einbruchsspur sein. Die Schäden seien nicht gross genug, dass sie auf einen Einbruch hinweisen könnten.
Das Gericht gibt auch in diesem Punkt der Staatsanwaltschaft recht.