SP-Stratege Herr Hämmerle, bereuen Sie die Blocher-Abwahl?
Andrea Hämmerle (SP) zog bei der Blocher-Abwahl die Fäden. Tritt Widmer-Schlumpf nicht an, werde die SVP wohl einen zweiten Sitz machen, sagt der Alt-Nationalrat.
- von
- D. Waldmeier
Herr Hämmerle, was haben Sie gedacht, als klar war, dass die Schweiz einen Rechtsrutsch erlebt und die SVP 11 Sitze im Nationalrat gewinnt?
Ich war überrascht über das Ausmass des Rechtsrutsches. Ich hätte nicht geglaubt, dass die SVP im Nationalrat so viele Sitze gewinnt. Offenbar war es eine Wahl der Angst – und die SVP ist eine Partei, die von den Angstgefühlen lebt. Ihr haben die dominanten Themen Migration und Flüchtlinge in die Hände gespielt. Aber vergessen wir nicht: Im Ständerat sind SVP und FDP weit weg von einer Mehrheit.
Auch 2007 war die SVP die grosse Wahlsiegerin – und dann haben sie die Abwahl Christoph Blochers eingefädelt. Kann man die stärkste Partei weiterhin aus dem Bundesrat ausschliessen?
Die Vereinigte Bundesversammlung wählt den Bundesrat und nicht das Volk. Tritt Eveline Widmer-Schlumpf noch einmal an, hat sie gute Chancen, wiedergewählt zu werden. Allein wegen ihrer Qualifikationen und ihres Leistungsausweises führt kein Weg an ihr vorbei: Es gibt keinen Grund, eine sehr erfolgreiche Bundesrätin abzuwählen. Die FDP ist keineswegs geschlossen, und die SVP müsste erst einen fähigen Kandidaten aus dem Hut zaubern. Ein solcher ist aber weit und breit nicht in Sicht. Es geht also nicht um eine arithmetische Zauberformel, sondern um Köpfe.
Die Mitte hat eine Schlappe erlitten. Die Finanzministerin könnte schon am Mittwoch ihren Rückzug verkünden. Was, wenn sie nicht mehr antritt?
Dann steigen die Chancen erheblich, dass die SVP zu ihrem zweiten Sitz kommt. Eveline Widmer-Schlumpf ist die beste Kandidatin. Eine Ersatzkandidatur aus der Mitte hat wenig Chancen. Ob allerdings eine Mitte-rechts-Regierung unser Land weiterbringt, wage ich zu bezweifeln.
SVP-Präsident Toni Brunner hat schon am Wahlsonntag gesagt, seine Partei sei bereit, Verantwortung zu übernehmen.
Ich glaube nicht, dass die Partei schon so weit ist. 2003 hat die Bundesversammlung der SVP und Christoph Blocher eine Chance gegeben. Das Experiment ist grandios gescheitert. Jede Partei, mit Ausnahme des Freisinns, musste sich ihre vollwertige Einsitznahme in der Regierung erdauern – und sich auch mässigen. Aber die SVP bekennt sich noch nicht einmal zu grundlegenden Menschenrechten und einem geregelten Verhältnis zur EU.
Sind Sie ein Totengräber der Konkordanz?
Dass immer alle massgeblichen Kräfte in der Regierung eingebunden waren, ist ein Märchen, das man vergessen muss. Die Sozialdemokraten zum Beispiel mussten lange auf einen zweiten Bundesrat warten.
Dennoch: War die Abwahl Christoph Blochers rückblickend ein Fehler, der das politische Klima vergiftet hat?
Nein, ich habe die Abwahl Christoph Blochers und die Wahl Eveline Widmer-Schlumpfs keine Sekunde lang bereut. Die SVP war auch eine Oppositionspartei, als Christoph Blocher im Bundesrat war. Das politische Klima war nicht minder vergiftet. Wir haben ihn durch eine fähigere und zutiefst bürgerliche SVP-Frau ersetzt. Die Bilanz ist hervorragend: Die Bundesfinanzen sind im Lot, der Finanzplatz ist reformiert. Ausserdem war es die SVP, welche die neugewählte Bundesrätin aus der Partei ausgeschlossen hat.
Mit Magdalena Martullo ist die Tochter Christoph Blochers ausgerechnet in Ihrem Heimatkanton Graubünden gewählt worden. Schmerzt Sie das?
Ich war überrascht, dass die Bündner, die nur fünf Sitze im Nationalrat haben, einen nach Zürich vergeben.