SterberateHohe Übersterblichkeit stellt Experten vor ein Rätsel
Im Oktober starben viel mehr Menschen als erwartet, die Gründe dafür bleiben im Dunkeln. Geht es so weiter, könnte die Übersterblichkeit bis Ende Jahr höher ausfallen als im Pandemiejahr 2020.
- von
- Christina Pirskanen
Darum gehts
In diesem Jahr verzeichnete das Bundesamt für Statistik (BFS) in der Schweiz bisher in 24 von 41 Wochen mehr Todesfälle bei über 65-Jährigen als in dieser Zeit üblich. Bislang starben 2022 insgesamt 4500 ältere Personen oberhalb des Erwartungswertes. Allein in den letzten drei Wochen starben 650 zusätzliche Personen – das seien rund 20 Prozent mehr als normal, schreibt der «Tages-Anzeiger».
Im Vergleich zu den Pandemiejahren 2020 und 2021 zeigt sich: Stand heute starben dieses Jahr kumuliert deutlich mehr Personen als zur gleichen Zeit in den Vorjahren. Hält die Übersterblichkeit in den kommenden Monaten aufgrund der Covid-Pandemie und der Rückkehr der Influenza an, könnte 2022 wie 2020 als ein Jahr mit einer der höchsten Übersterblichkeiten in die Schweizer Geschichte eingehen. 2020 wurden 7600 zusätzliche Tote verzeichnet, 2022 sind es bis jetzt 4500.

Mögliche Gründe für die Übersterblichkeit
Diese Zahlen stellen Experten vor ein Rätsel: «Besonders überrascht bin ich von der Übersterblichkeit bei den über 65-Jährigen seit Ende September. Aber auch der ganze Sommer war sehr auffällig», sagt Martin Röösli, Epidemiologe am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut gegenüber dem «Tages-Anzeiger». «Wie viele andere Experten bin auch ich über die Gründe am Rätseln.»
Im Sommer sei sicherlich die Hitze ein bedeutender Faktor für die Übersterblichkeit gewesen. Das bestätigt auch der oberste Kantonsarzt Rudolf Hauri gegenüber 20 Minuten: «Dazu kommen möglicherweise nicht oder verspätet behandelte Krankheiten sowie Erkrankungen der Atemwege.»
Seit längerem sei auch bekannt, dass nach einer Covid-Infektion das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen monatelang erhöht bleibe – auch bei milden Verläufen, so Röösli. Er spekuliert zudem, dass jeweils mehrere Faktoren zum Tod führen könnten und Covid nicht die alleinige Ursache sei. «Zum Beispiel könnten Personen nach einer Covid-Erkrankung empfindlicher auf Hitze, Infekte oder andere Ereignisse reagieren», sagt er.
Corona hat möglicherweise doch die Finger im Spiel
Die Corona-Toten scheinen nicht für die Übersterblichkeit verantwortlich zu sein: Seit Mai sterben durchschnittlich nur zwei bis drei Personen täglich am Virus. Doch die Übersterblichkeitsspitzen decken sich deutlich mit den Corona-Wellen.
Laut BAG muss der Zusammenhang mit den Corona-Wellen nicht bedeuten, dass Covid immer die unmittelbare Ursache der Übersterblichkeit ist. Es ist auch möglich, dass die Infektion zu einer Verschlimmerung von vorbestehenden Erkrankungen führt. Auch Kantonsarzt Hauri sagt: «In welchem Ausmass sich die tödlichen Corona-Verläufe in der statistisch berechneten Übersterblichkeit tatsächlich abbilden, muss wissenschaftlich geklärt werden.»
Fehlt den Älteren der Booster?
Der Grund für die Übersterblichkeit scheint also doch Corona zu sein. Damit stellt sich die Frage, ob nicht eine umfassendere Booster-Kampagne die Übersterblichkeit hätte bremsen können. Gemäss Daten des BAG sind nur 16 Prozent der über 70-Jährigen in den vergangenen sechs Monaten geimpft worden – bei den über 65-Jährigen sind es gar unter zehn Prozent.
«Es ist möglich, dass mit einer besseren Booster-Abdeckung Todesfälle verhindert worden wären. Um das beweisen zu können, müsste man aber bessere Daten haben. Wen betrifft die Übersterblichkeit hauptsächlich? Ungeimpfte, Geimpfte, Geboosterte?», so Röösli. Diese Daten gibt es für die Schweiz nicht. Aber in Singapur zeigt sich: Gemäss Gesundheitsministerium betrifft die Übersterblichkeit ausschliesslich Personen, die mit Covid infiziert waren. Sie starben entweder sofort an Covid oder die Infektion verschlimmerte bestehende Krankheiten und führte innert 90 Tagen zum Tod.
Holst du dir diesen Herbst den zweiten Booster?
Hast du oder hat jemand, den du kennst, Mühe mit der Corona-Zeit?
Hier findest du Hilfe:
BAG-Infoline Coronavirus, Tel. 058 463 00 00
BAG-Infoline Covid-19-Impfung, Tel. 058 377 88 92
Dureschnufe.ch, Plattform für psychische Gesundheit rund um Corona
Safezone.ch, anonyme Onlineberatung bei Suchtfragen
Branchenhilfe.ch, Ratgeber für betroffene Wirtschaftszweige
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
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