Reportage aus Syrien«Holt eure IS-Kämpfer zurück»
Zahlreiche westliche Staatsbürger kämpften in den Reihen des IS, viele von ihnen sitzen jetzt in kurdischen Gefängnislagern ein. Europa will sie nicht zurückhaben.
- von
- Ann Guenter
- Syrien
Der 25-jährige Abu Wael al-Swissri aus Lausanne sitzt seit sieben Monaten in einem kurdischen Gefängniscamp in Nordsyrien. 2015 hatte sich al-Swissri – mit bürgerlichem Namen Aziz B.* – zusammen mit seiner Frau Selina S. (29)* der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angeschlossen. Die beiden bereuten aber schon sehr bald diesen Schritt.
Ende 2016 kontaktierte Aziz' Familie die Schweizer Behörden, um dem jungen Mann bei seine Rückreise in die Schweiz zu helfen. Doch diese rieten Aziz und Selina, in die Kurdenhauptstadt Erbil zu fliehen, um von dort aus in die Türkei zu fliegen. Das Paar wurde schliesslich im Januar 2018 von den Soldaten der Kurdenmiliz YPG festgenommen. Alle Versuche, in die Schweiz zurückzukehren, blieben bislang erfolglos.
Die «moralische Pflicht» des Westens, diese Leute abzunehmen
Ein Mitarbeiter des Nachrichtendienstes der «Autonomen Administration von Nordsyrien» sagt zu 20 Minuten: «Im Gegensatz zu Indonesien und Russland hat Europa bislang keinen seiner IS-Kämpfer zurückgenommen, die bei uns abscheulichste Taten verübten.» Es sei die humanitäre Pflicht der Kurden und ihrer Streitkräfte der Syrian Democratic Forces (SDF) gewesen, den IS zu bekämpfen und somit auch zur Sicherheit in Europa beizutragen. «Jetzt wäre es die moralische Pflicht des Westens, uns diese Leute abzunehmen. Sie sitzen bei uns im Gefängnis. Vor unsere Gerichte kommen sie nicht – sie sind ja nicht unsere Staatsbürger.»
Ein Kommandant der Syrien Democratic Forces (SDF), der namentlich nicht genannt werden will, sagte zu 20 Minuten: «Meines Wissens hat die Schweiz bis zum Juni 2018 die Existenz von Schweizer Staatsbürgern in den Reihen des IS bestritten.» Die Schweiz sei dabei weitem nicht das einzige Land, das IS-Gefangene mit Schweizer Staatsbürgerschaft nicht zurücknehmen wolle, sagte der Kommandant im Gespräch auf einer Militärbasis von al-Hasaka. «Ich geben Ihnen ein Beispiel. Im Camp von Ain Issa, eine Stunde von Raqqa entfernt, haben wir Hunderte ausländische IS-Leute – eine signifikante Anzahl davon ist aus der Türkei. Die Türkei bestreitet, dass das ihre Bürger sind und dennoch sprechen diese IS-Leute türkisch untereinander.»
Nuri Mehmud, Sprecher der kurdischen YPG-Einheiten, findet ebenfalls deutliche Worte: «Für uns ist der Kampf gegen den IS noch lange nicht vorbei», sagt er. «Die Extremisten haben überall Schläferzellen. Es gibt immer noch viele Ausländer in den Reihen des IS. Statt die Realitäten zu verneinen, sollte Europa den Tatsachen in die Augen sehen: Wir haben für euch gekämpft, viele von uns sind für eure Sicherheit gestorben. Uns eure Staatsbürger abzunehmen, wäre nur richtig.»
*Name der Redaktion bekannt