Unerwarteter WiderstandHomosexuelle bekämpfen ausgeweitete Strafnorm
Hass gegen Homosexuelle soll unter Strafe gestellt werden. Nun wehren sich auch Schwule dagegen.
- von
- jk
Wer zu Schwulen- oder Lesben-Hass aufruft oder sie diskriminiert, soll in Zukunft bestraft werden: Im Dezember hat das Parlament die Ausweitung der Anti-Rassismus-Strafnorm auf Homo- und Bisexuelle beschlossen. Diese kommt vors Volk, weil EDU- und SVP-Kreise erfolgreich das Referendum ergriffen haben.
Doch nun gibt es Widerstand von unerwarteter Seite: Ausgerechnet Schwule sprechen sich gegen die Homo-Strafnorm aus. SVP-Politiker Michael Frauchiger etwa sagt: «Ich habe nicht mein Leben lang für Gleichberechtigung gekämpft, um jetzt Sonderrechte zu erhalten.»
«Ich kann mich selber verteidigen»
«Viele Politiker, die die Strafnorm auf Homosexuelle ausweiten wollen, sind von der allfälligen Diskriminierung gar nicht betroffen», so Frauchiger. Die vom Parlament geplante Gesetzesänderung würde Homosexuelle zwar schützen wollen, aber: «Ich kenne sehr viele Homosexuelle, die einen solchen Schutz nicht brauchen und auch nicht wollen. Genau wie ich: Ich weiss, wie ich mich zu verteidigen habe.»
Der homosexuelle Autor und Philosoph Philipp Tingler hat im SRF-«Club» ebenfalls gegen die Ausweitung argumentiert. Er betonte, dass er Hass ablehne, trotzdem sei es bedenklich und fragwürdig, die Normen so aufzuspalten, dass jede Identität eine eigene Schutznorm erhalte. Tingler plädiert für eine allgemein gehaltene Strafnorm gegen Beleidigungen und Regeln für die gesellschaftliche Debatte.
Auch Silvan Amberg, Vorstandsmitglied der Unabhängigkeitspartei (UP), ist ein homosexueller Gegner der Ausweitung der Strafnorm. Via Twitter pflichtet er Frauchiger bei: «Du bist bei weitem nicht der Einzige, der gegen das Gesetz ist. Leider besteht das Referendumskomitee aus so komischen Vögeln, dass sich viele nicht engagieren wollen.»
«Nein-Stimme der LGBT-Community fehlt»
Zu 20 Minuten sagt er: «In der Debatte fehlen mir die Stimmen der LGBT-Community, die sich gegen die Ausweitung aussprechen. Unter Betroffenen könnte man grundlegende politische Argumenten aufführen, ohne mit Homophobie-Vorwürfen konfrontiert zu werden.» Amberg würde etwa die Gründung eines LGBT-Nein-Komitees begrüssen.
Er warnt vor eine Einschränkung der Meinungsfreiheit: «Meine Partei und ich sind dafür, dass das Schweizer Strafrecht zurückhaltender eingesetzt wird. Unsere Gesellschaft zeichnet sich ja auch dadurch aus, dass mit anderen Meinungen oder Moralvorstellungen tolerant umgegangen wird. Das ist wichtig, um eine wirkliche Debatte zu führen.» Es gebe zu viele Fälle von Beleidigungen auf Social Media, als dass die Polizei jeden ahnden könnte. Das führe dazu, dass das Gesetz willkürlich eingesetzt würde, ein «Gummiparagraf», wie Amberg es nennt.
«Homophobie bleibt sonst salonfähig»
Laut Roman Heggli, Geschäftsleiter der Schwulenorganisation Pink Cross, sprechen die Gegner nur für eine Minderheit der Homo- und Bisexuellen. Verbände wie seiner oder viele weitere Organisationen würden seit Jahren für einen Diskriminierungsschutz kämpfen und damit die grosse Mehrheit der Homosexuellen vertreten: «Es wäre das erste Mal in der Geschichte, dass wir als Community geschützt würden.» Man könne schlicht nicht leugnen, dass Homo- oder Bisexuelle in der Gesellschaft noch immer mit Problemen zu kämpfen haben, auch wenn Einzelpersonen andere Erfahrungen machten.
«Die psychische Gesundheit homosexueller Personen ist schlechter als jene der Mehrheitsbevölkerung. Zudem belegen Studien, dass sie eine fünffach erhöhte Suizidalität aufweisen.» Solange solche Probleme bestünden, brauchten Betroffene Schutz. «Wir müssen uns die grundlegende Frage stellen, ob wir eine Gesellschaft sein wollen, die Homophobie toleriert», so Heggli. Hass und Hetze gegen Homosexuelle unter Strafe zu stellen, wie es die Ausweitung der Rassismus-Strafnorm vorsehe, verhindere, dass Homophobie in der Gesellschaft salonfähig bleibe.
Die Anti-Rassismus-Strafnorm
Die Anti-Rassismus-Strafnorm (StGB Art. 261bis) ist seit 1995 in Kraft. Sie stellt Handlungen unter Strafe, mit denen Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder wegen ihres ethnisch-kulturellen Hintergrundes das gleichberechtigte Dasein abgesprochen wird. Wer zu Hass oder Diskriminierung aufruft, rassistische Ideologien verbreitet oder eine Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion verweigert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. 2017 wurden 45 Personen wegen Rassendiskriminierung verurteilt.