Schweiz«Hymenrekonstruktionen sind absurd, unethisch und medizinisch sinnlos»
In gewissen Kulturen ist das Konzept der Jungfräulichkeit so wichtig, dass sich Frauen ihr Hymen in einer OP wiederherstellen lassen. Eine Genfer Ärztin will diesen Eingriff verbieten.


- von
- Gabriela Graber ,
- Michelle Ineichen
Darum gehts
In gewissen Kulturkreisen hat die Jungfräulichkeit einen hohen Stellenwert.
Auch in der Schweiz lassen sich Frauen ihr Hymen wieder zunähen.
Die Genfer Ärztin Michal Yaron möchte diesen Eingriff verbieten: «Hymenrekonstruktionen sind absurd, unethisch und medizinisch sinnlos».
Andere Fachpersonen sprechen sich gegen ein Verbot der Hymenoplastie aus.
«Werde wieder eine Jungfrau»: Mit diesem Satz bewirbt eine Schweizer Gynäkologin die Hymen-Rekonstruktion – ein medizinischer Eingriff um das Hymen, so heisst das «Jungfernhäutchen» in der Fachsprache, so wiederherzustellen, dass es beim Sex verletzt werde und bluten soll. Alleine in der Schweiz gibt es etliche Kliniken, die solche Operationen anbieten.
«OP ist keine Garantie»
Die Genfer Gynäkologin Michal Yaron möchte diese Operation jedoch verbieten. Kath.ch hat zuerst darüber berichtet. «Hymenrekonstruktionen sind absurd, unethisch und medizinisch sinnlos. Zudem bergen sie ein unnötiges Gesundheitsrisiko», sagt Yaron gegenüber 20 Minuten. In der modernen Medizin habe diese Operation keinen Platz. Bei den Eingriffen bestehe unter anderem die Gefahr für Infektionen und später für Schmerzen oder Gefühlsveränderungen beim Sex. «Eine OP ist auch keine Garantie dafür, dass eine Frau bei ihrem nächsten Geschlechtsverkehr tatsächlich blutet.»
Sie selbst führt diesen Eingriff deshalb nicht durch. «Manche Frauen haben Angst um ihr Leben, sollte herauskommen, dass sie an ihrer Hochzeitsnacht keine Jungfrau mehr sind.» Doch die Rekonstruktion sei nicht die Antwort, denn bei vielen Frauen sei das Hymen schon vor dem ersten Geschlechtsverkehr nicht mehr intakt. Das wüssten aber viele nicht: «Jungfräulichkeit ist ein wirres soziales Konstrukt, auf das Frauen mit der Hymen-Rekonstruktion reduziert werden.» Statt dem OP-Messer, brauche es bessere Aufklärung, die zu Hause, im Biologieunterricht und beim Kinderarzt beginnen müsse, so Yaron.
Was ist das Hymen und blutet der erste Sex immer?
Das «Jungfernhäutchen» ist ein dehnbarer Schleimhautkranz, der die Vagina am Eingang umrandet. Er ähnelt eher einem Stoff-Haargummi statt einem Häutchen und kann ganz verschieden aussehen. Manche Frauen haben ihn gar nicht. Dass das Hymen etwas über die sexuelle Erfahrung einer Frau aussagen soll, ist falsch. Das Hymen reisst bei 30 bis 50 Prozent der Frauen, die ihren ersten Geschlechtsverkehr haben, nicht. Deshalb ist es falsch, zu erwarten, beim ersten Mal zwingend zu bluten. Das Hymen kann auch ausserhalb des Geschlechtsverkehrs reissen, zum Beispiel durch ein Objekt, das in die Vagina eingeführt wird.
Bei einer Hymenoplastie werden laut Thomas Eggimann, Gynäkologe und Sprecher der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Reste des Hymens gesucht, die Ränder angefrischt und dann mit einem feinen Faden vernäht. Der Eingriff koste rund 2500 Franken und dauere 45 bis 60 Minuten. «Medizinisch macht die OP keinen Sinn. Ich rate Frauen grundsätzlich davon ab.» Auch Eggimann betont, dass eine Blutung nach der Rekonstruktion nicht garantiert werden könne.
«Verbot würde Frauen in unseriöse Hände führen»
Christian Köhler, Arzt und Leiter einer Schönheitsklinik, hat den Eingriff im letzten Jahr rund zehn Mal durchgeführt. «Hinter den Anfragen, die wir bekommen, stecken meist tragische Geschichten.» Wenn sich in einem Gespräch für eine Patientin keine Alternativen abzeichnen, nehme er die Operation vor. Darum wäre ein Verbot laut Köhler nicht zielführend: «Es würde denjenigen Frauen im Weg stehen, die ohnehin unter dem sozialen Druck und einer möglichen Stigmatisierung leiden.»
Auch Gynäkologin Anna Margareta Wagner, welche die Rekonstruktion selbst durchführt, stellt sich klar gegen ein Verbot. «Ein solches würde Frauen nicht davon abhalten, den Eingriff durchzuführen, sondern sie lediglich in unseriöse Hände führen.» Daher sei es besser, einen sicheren Raum für Frauen zu schaffen, die diesen Eingriff unbedingt wünschen, bis sich die Einstellung zu dieser Praxis grundlegend ändere, so Wagner.
Intaktes Hymen wird erwartet
«In einigen muslimischen und freien evangelischen Gemeinschaften wird sexuelle Unberührtheit vor der Ehe erwartet», sagt Petra Bleisch, Religionswissenschaftlerin und Ethik-Expertin. Als Beweis für die Jungfräulichkeit werde ein intaktes Hymen beziehungsweise das Bluten beim ersten Sex nach der Eheschliessung gesehen.
«Der Stellenwert von Jungfräulichkeit ist so hoch, dass es etwa in Ägypten Personen gibt, die prüfen, ob eine Frau vor der Hochzeit noch Jungfrau ist.» Werde diese nicht erkannt beziehungsweise falle das Bluten aus, könne das verheerende Folgen haben, sagt Bleisch. Die Konsequenzen könnten je nach Familie von sozialer Ächtung bis hin zu Gewalt und Tötung reichen.
Fokus auf Aufklärung, Bildung und Sensibilisierung
«Um patriarchalen Standards von Schönheit und Reinheit zu entsprechen, unterliegen Frauen in gewissen Kulturen absurden und ungerechtfertigten gesellschaftlichen Anforderungen», sagt Meriam Mastour, Beraterin für Ungleichheiten und Diskriminierung. Deshalb müsse der Fokus bei der Aufklärung, Bildung und Sensibilisierung liegen. Ein Verbot der Hymenrekonstruktion sei aber der falsche Ansatz: «Bis der Mythos der Jungfräulichkeit in den kulturellen und religiösen Gemeinschaften enttabuisiert ist, könnte ein solches Verbot Frauen, die sich in einer Notlage befinden, in eine echte Gefahr bringen.»
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