Unvergessene WM-Momente«I wer' narrisch!»
Je nach Standpunkt existiert das «Wunder» oder die «Schande» von Cordoba. Sicher ist eines: Das WM-Spiel zwischen Deutschland und Österreich 1978 bleibt unvergessen.
- von
- Reto Fehr
Der Originalkommentar von Edi Finger in Cordoba 1978.
Als letztes Spiel der Zwischenrunde 1978 in Argentinien forderte Österreich das grosse Deutschland. Wobei: «forderte» war vor dem Spiel etwas falsch ausgedrückt. Denn Medien wie auch Spieler sprachen eigentlich nur von einem: Können die Deutschen den benötigten Kantersieg für die Finalqualifikation gegen das bereits ausgeschiedene Österreich landen? Das DFB-Team spielte bis dahin gegen Italien und Holland Remis, Österreich verlor gegen Italien zuvor 0:1 und kassierte ein 1:5 gegen Holland.
Kurz: Deutschland hatte mit einem Sieg das Spiel um Platz 3 praktisch auf sicher, bei einem hohen Erfolg lag – falls Holland und Italien sich unentschieden trennten - gar die Finalteilnahme drin. So ging der amtierende Weltmeister dann auch standesgemäss in der 19. Minute durch Rummenigge mit 1:0 in Führung. Ein Eigentor von Berti Vogts und der Treffer Hans Krankls in der zweiten Halbzeit, liessen die Ösis aber plötzlich von der Sensation träumen. In der 72. Minute glich Hölzenbein für Deutschland aus.
«Abbusserln» und «Vierterl genehmigen»
Und als sich alle schon mit dem Remis arrangierten, geschah das Wunder doch noch. Hans Krankl tankte sich durch die deutsche Verteidigung und schoss das 3:2 für den krassen Aussenseiter. «Tor Tooor, Tooor, Tooor, Tooor, Tooor, Tooor! I wer' narrisch! Krankl schiesst ein. 3:2 für Österreich», jubelte der heute legendäre Edi Finger im österreichischen Radio. «Wir fallen uns um den Hals», «wir busserln uns ab», schrie er euphorisch ins Mikrofon.
Erstmals seit über 40 Jahre sollte Österreich wenig später die Deutschen tatsächlich besiegen. Wenn das gelingt, könne man sich «ein Vierterl genehmigen», prophezeite Finger schon Sekunden vor dem Abschluss. Es wird bei vielen, wohl nicht bei einem geblieben sein.
Wunder oder Schande
Schadenfreude spielte selbst beim Radiokommentator mit. Als der Deutsche Abramczik die Ausgleichschance versiebte schrie Finger: «Eine Möglichkeit der Deutschen! Und!? Daneeeeben! Also der Abraaaamczik – obbusseln möcht' i den Abramczik dafür. Jetzt hat er uns g'hooolfn. 'llein vor dem Tor stehend. Der braaave Abramczik hot daneben gschossn. Der Orme wird si' ärgern.»
Geärgert hat sich natürlich ganz Deutschland. «Die Schande von Cordoba» brannte sich tief ins Fussballgedächnis ein. Derweil jubelt Österreich noch heute über das «Wunder von Cordoba», wie es dort heisst. Die Spieler sind bekannt als «Helden von Cordoba», in Wien grenzt der Cordobaplatz an die Edi Finger-Strasse. Österreich hat seither nur noch einmal, in einem Freundschaftsspiel 1986, gegen Deutschland gewonnen.
Der Originalkommentar von Edi Finger:
«Und jetzt kann Sara sich noch einen aussichtslos scheinenden Ball einholen, Pass nach links herüber, es gibt Beifall für ihn, da kommt Krankl, vorbei diesmal an seinem (...) Bewacher, ist im Strafraum – Schuss ... Tooor, Tooor, Tooor, Tooor, Tooor, Tooor! I wer' narrisch! Krankl schiesst ein – 3:2 für Österreich! Meine Damen und Herren, wir fallen uns um den Hals; der Kollege Rippel, der Diplom-Ingenieur Posch – wir busseln uns ab. 3:2 für Österreich durch ein grossartiges Tor unseres Krankl. Er hat olles überspielt, meine Damen und Herren. Und warten S' noch a bisserl, warten S' no a bisserl; dann können wir uns vielleicht ein Vierterl genehmigen. Also das, das musst miterlebt haben. Jetz bin i aufgstanden, alle Südamerikaner mit ihren Toros(?). I glaub jetzt hammas gschlagn! Angriff aber der Deutschen, aufpassen, wieder Kopfabwehr. Das Leder kommt hinüber nach links zu Pezzey - Pezzey, aber Burschen jetzt follts net um hinten, bleibts aufrecht stehn. Noch zwei Minuten, das Leder wieder bei Österreich, noch wolln ma nichts verschreien. Jetzt kommt die Flanke in unsern Strafraum und da Kreuz hot scho wieder abgewehrt! Die Deutschen ham alles nach vorn beordert. Eine Möglichkeit der Deutschen! Und!? Daneeeeben! Also der Abraaaamczik – obbusseln möcht' i den Abramczik dafür. Jetzt hat er uns g'hooolfn. 'llein vor dem Tor stehend. Der braaave Abramczik hot daneben gschossn. Der Orme wird si' ärgern. Noch 30 Sekunden. 3:2 für Österreich. Nach 47 Jahren meine Damen und Herren liegt eine österreichische Nationalmannschaft, aber wos für ane, eine Weltklassemannschaft, die da heute spielt, gegen die Bundesrepublik mit 3:2 in Führung. Und jetzt trau i mi scho gar net mehr hinschauen. Aussigschossen ins Out. Schiedsrichter Klein aus Israel, ein ganz hervorragender Schiedsrichter, er hat es nicht leicht heut ghabt, aber hat bis jetzt klass gepfiffen. 45. Minute, noch einmal Deutschland am Ball und Prohaska haut den Ball ins Out. Und jetzt ist auuus! Ende! Schluss! Vorbei! Aus! Deutschland geschlagen, meine Damen und Herren, nach 47 Jahren kann Österreich zum ersten Mal wieder Deutschland besiegen!»
20 Minuten Online ruft in der Serie «Unvergessene WM-Momente» bis zum Ende der Fussball-Weltmeisterschaft in Südafrika täglich ein spektakuläres Ereignis vergangener Turniere in Erinnerung.