Schweizer Snooker-Sensation: «Ich arbeite nebenbei als Barkeeper»

Aktualisiert

Schweizer Snooker-Sensation«Ich arbeite nebenbei als Barkeeper»

Alexander Ursenbacher ist der beste Schweizer Snookerspieler. Nach seinem grössten Erfolg, dem Halbfinal am English Open, gibt er 20 Minuten Auskunft.

A. Hunziker
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A. Hunziker
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Ein Gesicht, das sich der Schweizer Sportfan einprägen sollte: Alexander Ursenbacher ist unsere grosse Snooker-Hoffnung. (Bild: September 2017)

Ein Gesicht, das sich der Schweizer Sportfan einprägen sollte: Alexander Ursenbacher ist unsere grosse Snooker-Hoffnung. (Bild: September 2017)

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Der erst 21-jährige Aargauer hat international für Furore gesorgt: Ursenbacher stiess am English Open in Barnsley bis in die Halbfinals vor. (Bild: September 2017)

Der erst 21-jährige Aargauer hat international für Furore gesorgt: Ursenbacher stiess am English Open in Barnsley bis in die Halbfinals vor. (Bild: September 2017)

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Die Fachwelt ist sich einig: der Schweizer hat das Zeug, um einer der Stars der Snooker-Szene zu werden. (Bild: September 2017)

Die Fachwelt ist sich einig: der Schweizer hat das Zeug, um einer der Stars der Snooker-Szene zu werden. (Bild: September 2017)

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Alexander Ursenbacher, Ronnie O'Sullivan hat Sie nach dem Einzug in den Halbfinal am English Open geadelt. Wie haben Sie darauf reagiert?

Das habe ich zuerst gar nicht mitbekommen, das erfuhr ich erst im Nachhinein, worauf ich wie wild danach suchte. Ich fand das zwar cool, aber ich war gerade derart in einem Lauf. Ich wusste ja, dass ich gut spiele und es andere mitbekommen müssen. Nichtsdestotrotz habe ich mich riesig darüber gefreut. Zuerst dachte ich, er habe das gar nicht mitbekommen, obwohl er ja am Nebentisch spielte. Ich hatte das Gefühl, er habe nicht einmal hinübergeschaut. Dem war aber nicht so, es hiess, er habe die ganze Zeit rübergeschaut.

Sie seien furchtlos, schrieb er in einem Tweet. Stimmt das?

Das kam wohl so rüber, da ich 90 Prozent meiner Bälle gelocht habe. Wahrscheinlich meinte er damit, dass ich nicht lange überlege. Ich liess auch meinen Gegnern keine Chance, in den zwei, drei Tagen, in denen ich gut spielte.

Weiter schrieb er, Sie hätten eine simple Technik – was meint er damit?

Es gibt andere Spieler, die beim Stoss weit ausholen und mehrmals zielen. Die meisten Spieler haben ihre eigene Technik und die ist sehr speziell. Ich selber hole nicht viel aus, stehe gerade, habe einen geraden Arm und stosse auch gerade. Deshalb sieht es bei mir ziemlich simpel aus.

Damit sind Sie auch schnell, ähnlich wie O'Sullivan, der wegen seiner Geschwindigkeit den Spitznamen «The Rocket» trägt.

Ich habe mir im Nachhinein meine Matches angeschaut und auf die Kommentatoren geachtet. Die meinten, ich hätte einen guten Spielfluss, sei schnell, spiele flüssig und überlege nicht allzu lange.

Was bedeutet Ihr Erfolg am English Open für den Snooker-Sport in der Schweiz?

Ich hoffe, dass ich durch diese Leistung die Schweizer etwas aufgeweckt habe. Ich erhoffe mir durch mein Spiel, dass ich selber besser werde und dass in der Schweiz mehr Leute auf Snooker aufmerksam werden und mehr Freude daran bekommen. Die Begeisterung ist hier noch um einiges kleiner als sonstwo.

Alexander ist die einzige Hoffnung für die Schweiz

Alex Ursenbacher (20) ist der einzige Snooker-Profi der Schweiz und spielt jetzt in England die WM.

Was machen Sie, dass Sie durch diesen Erfolg nicht noch mehr Druck auferlegt bekommen?

Ich konnte in dieser Woche mit dem Druck sehr gut umgehen. Zuvor war ich ja noch nie weiter als unter die letzten 32 gekommen. Dieses Mal habe ich sogar noch drei weitere Spiele gewonnen. Ich habe es dieses Mal umso mehr genossen, habe mein Spiel durchgezogen. Ich glaube, ich kann das auch in Zukunft so machen. Ich denke, ich werde mit dem Erwartungsdruck umgehen können.

Was ist Ihre persönliche Bilanz zum Abschneiden am English Open?

Ich bin eigentlich nie zufrieden, wenn ich Snooker spiele. Ich bin zwar schon glücklich, dass ich im Halbfinal stand, aber natürlich wollte ich noch mehr. Die ersten drei Matches in diesem Turnier spielte ich nicht sonderlich gut, in der zweiten Runde hatte ich riesigen Dusel, ich hätte auch rausfallen können. Ich will aber in sechs Monaten nicht zurückdenken müssen und sagen: «Weisst du noch, damals im Halbfinal?» Ich will, dass ich noch weitere Halbfinals erreiche, das soll nicht einmalig bleiben. Ich will noch konstanter und fokussierter werden. Jetzt weiss ich, dass ich einen Halbfinal erreichen und das auch in Zukunft schaffen kann. Ich glaube nicht, dass das mein einziger Halbfinal gewesen ist.

Wie viel Geld hat Ihnen der Halbfinal-Einzug in die Kasse gespült?

Das kann jeder nachschauen, das ist kein Geheimnis. Das sind 20'000 Pfund – minus Steuern. Also rund 26'000 Franken. Ich werde mir damit einen eigenen Profitisch kaufen, auf dem ich vernünftig trainieren kann. Denn bisher trainierte ich nur auf Clubtischen. Das ist keineswegs dasselbe.

Im Achtelfinal schlugen Sie den Weltmeister von 2005 und die aktuelle Weltnummer 5, Shaun Murphy, 4:1. Wow! Was war Ihre erste Reaktion?

Ich war eigentlich ziemlich relaxt. Aber meine Freundin war total aus dem Häuschen. Sie hatte beinahe eine Herzattacke. Murphy war ja 1:0 in Führung gegangen, danach konnte er bis zum 3:1 aber gar nichts machen, da ich alle meine Chancen nutzen konnte und hohe Breaks schaffte. Danach dachte ich schon «geil!», das hatte ich nicht erwartet. Aber offensichtlich ist es ja möglich, wenn man konzentriert bleibt. Ich blieb dann auf dem Boden und rastete nicht aus, das war sicher gut so, sonst hätte ich am nächsten Tag wohl nicht erneut so gut gespielt (5:0 im Viertelfinal gegen Michael White, d. Red.)

Hören Sie Reaktionen von anderen Spielern, was denn der einzige erfolgreiche Schweizer in der Snooker-Szene so alles vollbringt?

Jetzt schon, ja (lacht). Es gab vorher schon auch ein paar, die sagten: «Der ist gut, der kann eigentlich spielen.» Nun sind natürlich einige mehr dazugekommen. Das ist ein weiterer Schritt: Die Leute wissen jetzt, wir haben einen Schweizer auf der Main Tour – und der kann spielen.

Sie sprechen sehr gutes britisches Englisch. Wie kommt das?

Das weiss ich gar nicht so genau. Ich liebe einfach Sprachen. Mit dem Schulenglisch kam ich aber nirgends hin, das brachte nichts. Ich versuchte danach, mich einzuleben. Ich handhabte es wie mit Deutsch: Ich rede nicht gern Deutsch mit einem Schweizer Akzent, das tönt in meinen Ohren blöd. Ich wollte nicht Schulenglisch sprechen. Wenn ich in England bin und mit meinen Kollegen spreche, dann spreche ich Englisch, dann verhalte ich mich englisch, dann esse ich englisch. So kam es, dass mein Englisch so wurde, wie es nun ist, das kam automatisch.

Sind Sie überhaupt noch in der Schweiz oder trainieren Sie vor allem in England?

Nein, nein, ich trainiere eigentlich ausschliesslich in der Schweiz. Ich wohne auch hier. Ich reise von hier aus an die Turniere.

Die Reisen finanzieren Sie sich selber?

Ja, das ist richtig, ich habe keinen Sponsor. Ich arbeite nebenbei Teilzeit in einer Bar als Barkeeper. Das dient zur Sicherheit, wenn ich mal einen schlechten Monat habe, brauche ich ja trotzdem Geld. Und wenn ich in der Bar arbeite, kann ich nebenbei auch noch trainieren.

Können Sie sich denn Ihr Leben mit Snooker finanzieren?

Seit Juni – seit ich wieder Profi bin (er musste sich zuerst wieder dafür qualifizieren, als Profi spielen zu dürfen, Anmerkung der Redaktion) – konnte ich mir alles mit Snooker finanzieren. Aber man weiss ja nie, wenn man zusätzlich etwas braucht, darum habe ich den Teilzeitjob angenommen.

2017 sind Sie im Vergleich zu Ihren ersten Versuchen als Profi erfolgreich. Was ist passiert?

Ich bin ein komplett anderer Spieler. Warum, weiss ich selber nicht genau. Ich hatte damals einfach das Gefühl, ich sei noch nicht bereit. Ich beschäftigte mich noch zu viel mit Siegen und Niederlagen. Ich setzte mich selber zu stark unter Druck. Nun bin ich gereift und geniesse mein Spiel. Der Rest erledigt sich, wie man jetzt gerade gesehen hat, von allein.

Haben Sie mentales Training gemacht, um sich so steigern zu können?

Ich würde sagen, 80 Prozent habe ich allein geschafft. Ein halbes Jahr hat mir ein Engländer viel gezeigt, was ich mental machen kann. Er gab mir gute, aber auch schlechte Tipps, die guten habe ich behalten.

Was ist für Sie die Faszination dieser Sportart?

Das weiss ich auch nicht genau. Ich habe zuerst mit Pool-Billard begonnen, aber nicht regelmässig. Dann probierte ich mal Snooker aus, wusste zuerst aber gar nicht, wie das geht. Der Tisch war doppel so gross wie im Pool und die Löcher kleiner. Das machte zu Beginn wenig Sinn. Beim ersten Mal habe ich total abgekackt, hatte aber trotzdem Freude daran. Warum, weiss ich nicht genau. Der Klang, wenn der Ball reingeht, dieses Gefühl ist einfach toll. Das Spiel wurde mit der Zeit immer interessanter, als ich sah, was alles möglich ist. Ich liebe jeden Aspekt an diesem Spiel: Es kann das schwierigste, aber auch das einfachste Spiel der Welt sein.

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