Politiker ohne Arme: «Ich bin ein Kämpfertyp»

Aktualisiert

Politiker ohne Arme«Ich bin ein Kämpfertyp»

Christian Lohr hat keine Arme. Seit Sonntag ist der Thurgauer Nationalrat für die CVP. Die Behinderung sei überhaupt kein Problem, sagt er.

von
Andy D. Veraguth

CVP-Nationalrat Christian Lohr aus dem Kanton Thurgau im Interview (Video: Andy D. Veraguth; Schnitt: Marion Bangerter).

Der Kreuzlinger Christian Lohr erbte seinen Nationalratssitz am Sonntag von Brigitte Häberli-Koller (CVP), die im zweiten Wahlgang Ständerätin wurde. Einen Nationalrat, der ohne Arme auskommen muss, gab es noch nie. Lohr kam als Contergan-geschädigtes Kind ohne Arme und mit missgebildeten, verkürzten Beinen zur Welt (siehe Box). Dank seiner «uneingeschränkten Leistungsfähigkeit», wie er sagt, und auch dank der Unterstützung seiner Familie, hat er Volkswirtschaft studiert und arbeitet als freischaffender Journalist im Bereich Sport, Wirtschaft und Soziales. «Ich bin ein Kämpfertyp.»

Als Christian Lohr zuhause von 20 Minuten besucht wird, sitzt er auf seinem Bürostuhl. Sein rechter Fuss, der immer ohne Socke ist, dient als multifunktionales «Werkzeug». Damit bedient er die Computermaus, nimmt den Hörer ab, blättert die Zeitung um oder bedient das iPhone. Ausserhalb seiner Wohnung ist er mit seinem elektrischen Rollstuhl unterwegs, den er selber steuern kann. «Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kann ich mich bestens fortbewegen», so Lohr.

Sehr gut verwurzelt ist er in der Sportwelt seines Kantons Thurgau. Er freut sich, im Parlament bei den sportpolitischen Themen mitzugestalten. «Um mein Leben zu meistern, braucht es Beharrlichkeit, diese entwickelt man im Leben», so Lohr. Abstimmen wird er im Parlament wohl mit seinem rechten Fuss. «Ich stehe ganz klar in der Mitte der CVP. Ich verfolge eine bürgerliche Politik, die aber ein gezieltes und bewusstes soziales Verständnis kennt.»

Opfer des Wirkstoffs Thalidomid

Christian Lohrs ­Mutter nahm 1962 während der Schwangerschaft ein Medikament gegen Keuchhusten ein. Der Wirkstoff Thalidomid, der vor allem auch im Beruhigungsmittel Contergan vorkam, führte zu ­seiner schweren Behinderung. In der Schweiz hiess das entsprechende rezeptpflichtige Medikament Softenon und wurde von der Grü­nenthal GmbH von 1957 bis 1961 vertrieben. Rund 10 000 Kinder weltweit ­wurden Opfer des Wirkstoffs ­Thalidomid. So hart wie Christian Lohr traf es nur wenige.

Deine Meinung