Xherdan Shaqiri«Ich bin ein Leader und werde es immer sein»
Xherdan Shaqiri will bei der Nationalmannschaft vergessen. Im Interview spricht er über die lehrreiche Zeit bei Stoke, die Zukunft und die Sehnsucht nach der grossen Bühne.
- von
- E. Tedesco
- Feusisberg
Xherdan Shaqiri spricht über den Abstieg mit Stoke, die Vorfreude auf die WM und die Ziele in Russland. (Video: 20 Minuten)
Ein weiteres Traumtor von Xherdan Shaqiri konnte das Schicksal nicht abwenden: Der erfolgsverwöhnte Schweizer Internationale stieg mit Stoke aus der Premier League ab. Diese schwierige Zeit liegt nun aber hinter ihm. Seit Dienstag bereitet sich Shaqiri mit der Nati auf die WM vor. Das Turnier in Russland bietet ihm die geeignete Bühne, die Saison doch noch versöhnlich abzuschliessen – und einem neuen Arbeitgeber vorzuspielen.
Xherdan Shaqiri, Sie haben in Ihrer Karriere immer um Titel gespielt, Sie haben die Champions League gewonnen – und jetzt sind Sie mit Stoke abgestiegen. Wie gehen Sie mit dem Tiefschlag um?
Ich habe immer um Titel gespielt, aber ich habe aus diesen drei Jahren auch etwas gelernt, und ich glaube, dass mir diese Erfahrung in meiner Karriere helfen kann. Aber es war bitter und sehr hart.
Ihre persönliche Bilanz, acht Tore und sieben Assists, kann sich sehen lassen. War das Ihre beste Saison?
Das ist schwierig zu sagen. Sicher ist: Es war eine sehr, sehr gute Saison, was meine eigenen Leistungen anbelangt, aber leider endete sie mit dem Abstieg.
Sind Sie noch enttäuscht?
Ich war sehr enttäuscht, aber auch froh, dass ich trotz des Abstiegs Leistung gebracht habe. Das sieht man an den 15 Skorerpunkten.
Sie sind mit diesem Negativ-Erlebnis in Feusisberg eingerückt. Wie fühlen Sie sich jetzt?
Wir haben in der Premier League durchgespielt und man weiss, wie anstrengend die Liga ist. Nach einer langen und schwierigen Saison bin ich etwas müde. Vor allem mental, denn der Druck war sehr gross in den letzten Wochen. Es wurde viel geschrieben, viel geredet, der Druck kam von allen Seiten. Jetzt freue ich mich sehr auf die WM.
Sie scheinen gedanklich abgeschlossen zu haben, sprechen von Stoke nur noch in der Vergangenheit. Wie sieht Ihre sportliche Zukunft aus?
Das ist kein Geheimnis mehr, jeder weiss, dass ich gehen werde.
Wann und wohin?
Das ist alles noch offen. Ich vertraue in dieser Sache meinem Bruder und meinen Beratern. Sie kümmern sich um alles. Ich bin ganz ruhig, denn sie werden mich zum richtigen Zeitpunkt informieren.
Wird das vor oder nach der WM sein? Wollen Sie die grosse Bühne nutzen, um vorzuspielen?
Viele Clubs haben noch nicht einmal einen Trainer oder erst seit kurzem. (lacht) Aber klar, viele Clubs planen ihre Kader schon vor dem Turnier. Wie gesagt, ich bin ganz ruhig.
Es gibt Gerüchte, dass Tottenham interessiert sei, aber auch die AS Roma. Können Sie sich vorstellen, wieder in der Serie A zu spielen?
Sagen wir so: Ich schliesse nichts aus. Aber ich würde gern in England bleiben. Die Premier League passt zu mir.
Wieso?
Es ist die beste Liga mit den besten Spielern. Ganz einfach.
So bescheiden.
(lacht herzhaft) Soll ich etwa in China spielen ...?
Sind Sie selbst Ihr grösster Kritiker?
Nein, das ist mein Vater. Nach einem Spiel rufe ich ihn besser nicht an. Er findet, selbst wenn ich drei Tore geschossen habe, es hätten fünf sein können.
Wie sehen Sie zurzeit Ihre Rolle in der Nati?
Ich bin ein erfahrener Spieler und gehöre zu denen mit den meisten Länderspielen, zudem habe ich die meisten Tore der aktuellen Natispieler geschossen. Ich bin ein Leader in der Mannschaft und werde es immer sein.
Man spürt in Ihren Worten die Sehnsucht nach grossen Spielen, der grossen Bühne. Täuscht das?
Nein. Die Sehnsucht nach der grossen Bühne ist gross. Immer. Von der grossen Bühne – den Ligen, den Clubs – hat man als Spieler nie genug. Und ich will mich auch mit den Grossen messen.
Dann kommt Ihnen Brasilien als erster WM-Gruppengegner am 17. Juni gerade recht?
Grosse Mannschaften liegen uns, und Brasilien ist für mich eine grosse Mannschaft. Sie werden die Favoriten sein und wir die Aussenseiter. Aber die Schweiz hat gezeigt, dass sie mit einer grossen Mannschaft mithalten kann. Wir spielen auch gut und haben Spieler, die mit ihren Clubs europäisch gespielt haben und Erfahrung mitbringen. Es liegt an uns, was wir am Ende erreichen.
Das sagt Xherdan Shaqiri über Brasilien, Vorbilder und was er über Russland weiss. (Video: 20 Minuten)
Xherdan Shaqiri über seine Lieblingsmannschaft und sein Idol. (Video: 20 Minuten)
Was sind Ihre Gedanken, wenn Sie das Wort Brasilien hören?
Mit fünf Weltmeistertiteln ist das die erfolgreichste Mannschaft der Welt und für mich auch in Russland einer der Favoriten. Sie sind trotz der schlechten Heim-WM und dem 1:7-Debakel im Halbfinal immer fähig, ein Turnier zu gewinnen. Brasilien ist meine Lieblingsmannschaft und Ronaldo war mein Lieblingsspieler. Brasilien ist auch meine erste WM-Erinnerung als Bub.
Erklären Sie das bitte.
Ich habe die WM 1998 am TV verfolgt und geweint, als Brasilien verloren hat. Zum Geburtstag habe ich mir ein Leibchen von Ronaldo gewünscht – und habe es auch bekommen.
Sollte Brasilien am 17. Juni 2018 wieder verlieren, werden Sie nicht weinen, oder?
(lacht laut) Ganz bestimmt nicht ...
Ist es ein Vor- oder Nachteil, gleich im ersten Gruppenspiel auf die Seleçao zu treffen?
Es kann beides sein, aber ich fange lieber gegen den Favoriten an. Ein guter Start in ein Turnier kann Kräfte freisetzen. Dann ist alles möglich. Es liegt an uns.
Die Eishockey-Nati hat vorgelegt, startete aber nicht gut, sondern musste sich ins WM-Turnier kämpfen. Nimmt die Fussball-Nati die Hockeyaner als Vorbild?
Die Eishockey-Nati hat mit Silber ein bisschen Druck auf uns gemacht ... (lacht wieder). Ich hoffe, die Leute verwechseln da jetzt nichts. Aber ernsthaft: Die Eishockey-Nati kann stolz sein auf das, was sie erreicht hat. Wir können sie als Vorbild nehmen.
Was konkret?
Dass sehr viel möglich ist, wenn man zusammenhält.
Die Erwartungshaltung beim Schweizer Volk ist nach dem Achtelfinal an der WM 2014 und der EM 2016 wieder gross. Ist der Druck nach Frankreich zusätzlich gestiegen?
Wir sind nicht Brasilien oder Deutschland, das im Final stehen muss, aber wir können die Überraschungsmannschaft werden. Dennoch bleiben wir mit den Füssen auf dem Boden und werden auch dieses Mal Schritt für Schritt gehen und nur von Spiel zu Spiel schauen.