Entlarvendes Interview«Ich bin kein Werber, der ihr Image schönt»
Christian Nill hat getan, was kein Sportjournalist wagt: Er hat ein Interview mit den Degen-Zwillingen publiziert, das diese verhindern wollten – obwohl sie von ihm begeistert waren.
- von
- P. Dahm
Zwei Brüder, ein Journalist, kein Konsens: David und Philipp Degen gehen gegen ein Interview vor, das sie am 29. Mai in Zürich für «Bar-Storys.ch gegeben haben. Auf der Website ist das Gespräch nur ohne ihre Antworten nachzulesen (20 Minuten Online berichtete).
20 Minuten Online: Christian Nill, denken Sie heute anders über die Degen-Zwillinge als vor dem Interview?
Christian Nill: Ich habe nie gross über die Degen-Zwillinge nachgedacht. Das waren für mich Fussball-Profis, die man aus den Medien kennt. Mehr nicht.
Sie haben die Fussballer im Mai interviewt. Wie haben Sie selber das Gespräch erlebt?
Für mich, und da darf ich sicherlich auch für meinen Fotografen Mischa Scherrer sprechen, ist es ein sehr erfrischendes, sympathisches und positives Gespräch gewesen. Wir haben viel gelacht. Ich habe sie sehr offen erlebt und das Gefühl gehabt, dass sie sich wohl fühlen.
Haben Sie denn dahingehend ein Feedback bekommen?
Es ist im Interview zitiert worden, das ich veröffentlicht habe: Dass es ein «hochstehendes» Gespräch sei, dass es die richtigen Fragen wären und dass sie noch selten so einen guten Journalisten wie mich vor sich gehabt hätten. Sie hatten offensichtlich auch Freude an dem Gespräch und wir sind in gutem Einvernehmen auseinandergegangen. Deshalb war das, was danach geschah, für mich sehr überraschend.
Sie haben die Zitate wie üblich zum Gegenlesen geschickt. Was war die Antwort?
Die Kommunikation mit den Degen-Zwillingen lief immer über David. Ich habe ein Mail bekommen, in dem er direkt auf den Punkt gekommen ist. Er hat in seinen Worten gesagt, dass er das Gespräch auf keinen Fall zur Veröffentlichung freigibt. Es sei das schlechteste Interview, das er je gelesen habe.
Hat David Degen seine Kritik präzisiert?
Im ersten Mail nicht, deshalb habe ich sofort nachgefragt, was er konkret ändern wolle und schlecht sei. Er hat geschrieben, dass es ja nicht angehen könne, dass ich das Gespräch transkribiere und eins zu eins abdrucke. Er argumentierte, dass wenn sie vor einer Fernsehkamera auftreten würden, sie auch ganz anders redeten. Das sei von ihnen aus nie die Idee gewesen.
Haben Sie versucht, den Wünschen Rechnung zu tragen?
Ich habe eine zweite Version gemacht. Ich hatte das Gefühl, David Degens Haltung zu verstehen. Viele der Pingpong-Wechsel, die es zwischen den Brüdern gab, habe ich rausgestrichen und versucht, stärker auf einzelne Themen zu fokussieren. Aber auch da ist ein resolutes «Njet» gekommen.
Was wollte David Degen dann?
Er stelle sich einfach ein spannendes Interview zu verschiedenen Themen vor und ich müsse alles komplett umschreiben. Auch die Wortstellungen. Aber das Gespräch hat ja so stattgefunden, ich kann es nicht neu erfinden und es ändert ja auch nichts am Inhalt, wenn ich die Wortstellungen verändere. Ich wusste: Diese Forderungen kann ich nicht mit gutem Gewissen erfüllen. Ich habe das Gespräch aufgezeichnet und sie haben mir die Erlaubnis dazu gegeben. Es ging nie darum, ein Gespräch zu veröffentlichen, das dem Image entspricht, das die beiden gerne von sich verbreiten würden. Darum wäre es letztlich gegangen. Da hätte ich auch einen Werbetext für sie schreiben können.
Sie haben den Artikel trotz anwaltlichen Drucks online gestellt. Warum wollten Sie nicht auf die Geschichte verzichten?
Ich habe Rat bei verschiedenen Bekannten, darunter renommierte Journalisten, gesucht. Die meisten haben gesagt: Darin steht nichts, was die Persönlichkeit verletzt, beleidigt oder herabsetzt. Es werden keine Geheimnisse veröffentlicht. Und der Hauptgrund für mich war, dass es ein sympathisches Gespräch ist, in dem man die beiden Brüder mal von einer anderen Seite erlebt. Es sind zwei Menschen, die miteinander umgehen. Zwillinge, die eine spezielle Situation verbindet.
Können Sie die Kritik der Degens auch verstehen?
Ich kann nachvollziehen, dass sie sich zum Teil auf eine Art und Weise wiedererkennen müssen, die sie eigentlich nicht sehen möchten. Aber ich bin eben nicht der Werber, der ihr Image schönt.
Inzwischen haben Sie den Text wieder vom Netz genommen. Wie ist die Lage im Rechtsstreit?
Ich habe ein Mail von einem Anwalt bekommen. Mein Anwalt hat ihm vor einer Woche per Fax geantwortet. Seither haben wir nichts gehört.
Seit über einem Jahrzehnt interviewen Sie Prominente. Haben Sie so etwas schon oft erlebt?
So nicht, aber ich habe selbstverständlich schon erlebt, dass Gespräche zurückgezogen worden sind. Bei Bar-Storys.ch habe ich ein Gespräch mit «Glanz & Gloria»-Moderatorin Annina Frey nicht veröffentlichen dürfen. Das Schweizer Fernsehen hat es mir verboten. Das ist aus meiner Sicht extrem schade, denn es wäre mal ein anderes Gespräch mit Annina Frey geworden. Sie wird fassbar als Mensch, und das ist das Wesentliche an meinem Konzept. Ich will einen Mensch vis-à-vis haben, Marketing interessiert mich nicht. Aber fast bei jedem Interview kommen Änderungswünsche. Da muss ich mir viel gefallen lassen, aber ich sage auch: Gesagt ist gesagt.
Nehmen Probleme mit der Abnahme von Zitaten noch zu?
Ich denke ja. Es kommt natürlich darauf an, mit wem man es zu tun hat und wie man an das Gespräch kommt. Läuft es über Beziehungen, kann das Gespräch wie mit Bligg ganz anders stattfinden, als wenn das irgendein Promi ist, bei dem es über den offiziellen Weg geht. Grundsätzlich merke ich aber, dass es Bestrebungen gibt, die Kommunikation immer strenger zu kontrollieren. Häufig will man sich nach allen Seiten absichern und dann kommen nur noch 08/15-Schlagwörter raus, die niemanden interessieren.
Zensur in modernen Zeiten
Was Christian Nill nach seinem Treffen mit den Degen-Zwillingen erlebt hat, ist journalistischer Alltag. Im deutschsprachigen Raum ist es Usus, dem Gesprächspartner das Interview zum Gegenlesen zu schicken. So sollen in der Theorie Missverständnisse ausgeräumt und gegebenenfalls Details berichtigt werden. In der Praxis nutzen Manager, Pressesprecher und PR-Berater diesen Umstand jedoch aus, um unliebsame Berichterstattung zu torpedieren. Was eingeführt wurde, um Fehler zu vermeiden, dient heute oft als Zensurmittel. Besonders betroffen sind die Bereiche Sport und Unterhaltung, wo Redaktoren oft auf den guten Willen der Stars angewiesen sind. Rein rechtlich gilt jedoch: Solange Journalisten die Wahrheit schreiben, deckt sie das Gesetz.