Tag der guten Tat: «Ich erhalte mehr, als ich gebe»

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Jogging-Guide für Blinde«Ich erhalte mehr, als ich gebe»

Was motiviert Menschen, anderen zu helfen? Wir haben mit Blind-Jogging-Guide Bruno Baumann und seinem sehbeeinträchtigten Laufpartner Jörg Schilling gesprochen.

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Blind-Jogging-Guide Bruno Baumann und Jörg Schilling (rechts).
Laufen seit Jahren gemeinsam:

Blind-Jogging-Guide Bruno Baumann und Jörg Schilling (rechts).

20 Minuten
Beim Blind-Jogging wird verbal und nonverbal kommuniziert. Die Läufer sind mit einem Band verbunden. 
Beim Blind-Jogging wird verbal und nonverbal kommuniziert. Die Läufer sind mit einem Band verbunden. 20 Minuten
Blind-Jogging macht sowohl dem Guide wie dem Läufer grossen Spass.
Blind-Jogging macht sowohl dem Guide wie dem Läufer grossen Spass.20 Minuten

Darum gehts

Blind-Jogging-Guide Bruno und sein Laufpartner Jörg tragen zu ihrer Sportmontur orangene Westen, die Jörg als «Blind» und Bruno als «Guide» kennzeichnen. Sie rennen locker nebeneinander und gegengleich, damit ihre Arme immer synchron in die gleiche Richtung schwingen. Verbunden sind sie durch ein kleines schwarzes Band, das sie beide halten. Mit dem Band und mit verbalen Anweisungen führt Bruno seinen Schützling.

Wir setzen uns auf eine Bank und Jörg erzählt, was der Verein Blind-Jogging ihm als Sehbehinderten heute ermöglicht: «Vorher waren alle Angebote so organisiert, dass wir irgendwo hin mussten. Und wenn du sehbeeinträchtigt oder blind bist, ist Reisen eines der Dinge, die du vermeiden möchtest. Das neue Angebot von Blind-Jogging war revolutionär: Sie kommen zu dir an die Haustüre, nehmen dich mit zum Joggen und bringen dich wieder nach Hause. Das war der Grund, mich zu melden.» 

Es bilden sich viele Standard-Tandems

Lauf-Guide Bruno Baumann

Bruno ergänzt: «Blind-Jogging existiert bereits seit rund 17 Jahren. Es bilden sich mit der Zeit viele Standard-Tandems. Wie bei Jörg und mir. Es ist auch regional bedingt. Wer im Limmattal wohnt, geht nicht ins Zürcher Oberland und umgekehrt. Wir Guides schauen, dass wir das mit einem vernünftigen Aufwand betreiben können, weil der grösste Teil der Leute berufstätig ist – die Guides wie auch die Sehbeeinträchtigten und Blinden. Da muss man schauen, dass man gemeinsame Termine findet.»

Bruno schaut vor unserem Interview zu Jörg hinüber und fragt ihn, ob ihm die Sonne nicht zu stark auf den Kopf brennt. Erst als Jörg «Nein» sagt, widmet Bruno sich unseren Fragen.

Bruno, wie fit muss man sein, um blinde oder sehbeeinträchtigte Menschen beim Joggen zu begleiten? 

Bruno Baumann: Meinen ersten Marathon habe ich mit 34 absolviert und insgesamt 31 Marathons, Berg-Marathons und Ultras gefinisht. Seit vier Jahren bestreite ich aber keine Wettkämpfe mehr, ich habe ein künstliches Hüftgelenk. Als Blind-Jogging-Guide sollte man schon einigermassen fit sein.

Wie oft bist du als Blinden-Jogging-Guide im Einsatz?

Guide bin ich seit sieben Jahren. Ich mache das etwa ein bis zwei Mal pro Woche, meistens mit den gleichen zwei Läufern aus der Region. Das Vertrauen ist ganz wichtig und die Chemie muss im Tandem stimmen, sonst geht es nicht. Die Läufer sind dem Guide ja ziemlich ausgeliefert.

Du bist als regelmässiger Läufer sehr gut trainiert. Wie passt du dein Tempo deinen Laufpartnerinnen und -partnern an? 

Als Guide habe ich einen Gast bei mir. Ihm oder ihr passe ich das Tempo an, die Laufstrecke wird miteinander festgelegt. Wer als Guide für sich trainieren und nebenbei noch einen Sehbeeinträchtigten mitnehmen will, hat die falsche Motivation.

Was treibt dich an, blinde Läuferinnen und Läufer als Guide zu begleiten? 

Vor Jahren habe ich bei einem Wettkampf ein Tandem überholt. Die hatten unterschiedliche T-Shirts an, mit dem Ausdruck: «I see…» und «…says the blind man». Das hat mich total fasziniert! Daraufhin habe ich beschlossen: Nach 25 absolvierten Marathons will ich das auch machen. Und so habe ich es dann auch gemacht. Ich bin sehr dankbar, dass ich gesund bin und viel Sport treiben konnte und immer noch kann. Ich möchte meine Begeisterung für den Laufsport denen weitergeben, die nicht die gleichen Möglichkeiten haben, wie andere. 

Wie wird dein Einsatz von anderen wahrgenommen?

Im allgemeinen werden Tandems nicht gross beachtet, wir laufen ja einfach nebeneinander, wie andere auch. An Wettkämpfen ist das ganz anders, da wird man laufend angefeuert, auch wenn man in den hinteren Positionen läuft. Die Wertschätzung ist dort sehr gross.

Kann man als blinde Person auch völlig untrainiert zu euch kommen?

Wenn die Motivation da ist, geht das selbstverständlich. Man muss es aber wirklich wollen. Bei Anfängerinnen und Anfängern starten wir mit einem intermittierenden Training, wo man alle 200 bis 300 Meter zwischen Laufen und Rennen wechselt. Aber das kann man aufbauen. Natürlich ist auch Regelmässigkeit wichtig. Einmal im Monat bringt nicht viel. Ideal wäre es, wenn jemand zweimal in der Woche trainiert.

Gibt es etwas, das du den Menschen für den Tag der guten Tat mitgeben möchtest? 

Für mich ist es schön, dass ich jemandem etwas geben kann, das diese Person sonst nicht hätte. Etwas, was er oder sie ohne fremde Hilfe nicht machen könnte. Dass ich ihnen die Möglichkeit gebe, sich zu bewegen, motiviert mich. Es müsste ja nicht einmal Joggen sein. Dann sehe ich die Freude, die meine Laufpartnerinnen und -partner haben und wenn sie nach dem Lauf sagen, dass sie sich auf das nächste Treffen freuen. Daran habe ich Freude. Es geht aber nicht um mich. Ich freue mich, dass ich die Menschen in die Natur begleiten darf. Bei meinen Tandem-Läufen kommt viel mehr zurück als ich gebe!

Freunde geworden durchs Laufen

Dass das nicht einfach eine Floskel ist, merkt man nach dem Interview. Bruno und Jörg sind durchs Laufen Freunde geworden, ihr Umgang ist sehr vertraut. Bruno: «Wenn er nervt, sage ich einfach, pass auf oder ich schubse dich in den Bach.» Jörg lacht und ergänzt: «Oder er sagt: Ich lass dich einfach im dunklen Wald stehen.» (beide lachen)

Gutes tun und andere inspirieren!

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