Betroffene Parlamentarier«Meiner Mama geht es gut, aber meine Verwandten liegen unter den Trümmern»
Vom verheerenden Erdbeben im Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien sind auch Schweizer Parlamentarier betroffen. 20 Minuten sprach mit Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan und SP-Nationalrat Mustafa Atici.
- von
- Christina Pirskanen
Darum gehts
Im Grenzgebiet der Türkei und Syriens kam es am Montag zu mehreren schweren Erdbeben.
Bereits mehr als 2300 Menschen sind aufgrund dieser verstorben.
Auch Schweizer Politikerinnen und Politiker sind direkt betroffen.
Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan sei bereits den ganzen Tag lang mit der Organisation von Hilfe aus der Schweiz beschäftigt.
SP-Nationalrat Mustafa Atici befindet sich derweil in Taiwan und versuche von dort aus, mit seiner Familie vor Ort in Kontakt zu kommen.
Der Südosten der Türkei und die syrische Grenzregion waren am Montag von mehreren verheerenden Erdbeben betroffen. Am Montagnachmittag um 18 Uhr belief sich die Zahl der Opfer bereits auf mehr als 2400. Auch mehrere Schweizer Politikerinnen und Politiker sind direkt von der Katastrophe betroffen.
Tiefe Temperaturen verschärfen Wettrennen gegen die Zeit
Sibel Arslan, Grünen-Nationalrätin aus Basel-Stadt, stehe seit dem Morgen in Kontakt mit Freunden, Politikerinnen und Politikern in der Türkei. «Viele meiner Freunde haben Verwandtschaft in der Nähe des Epizentrums und sind vom Erdbeben betroffen», sagt sie gegenüber 20 Minuten. Von einigen habe sie unterdessen mitbekommen, dass diese Familienangehörige verloren hätten.
Derzeit würde alles unternommen, um die verschütteten Menschen aus den Ruinen zu befreien. Die Zeit drängt durch die tiefen Temperaturen umso mehr. «Teils erreichen die Rettungsdienste aufgrund der eingestürzten Gebäude und anderer Hindernisse die Menschen nicht», so Arslan. Auch Flughäfen und Verwaltungsgebäude seien beschädigt – die Soforthilfe leide darunter.
«Ich muss möglichst nüchtern funktionieren»
Arslan ist vom Ereignis hörbar mitgenommen, sie spricht leise – und muss trotzdem versuchen, eine gewisse Distanz zu wahren. «Ich darf keine Bilder oder Videos anschauen – ich muss möglichst nüchtern funktionieren», sagt die Nationalrätin. Sie sei mit dem Eidgenössischen Amt für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und anderen Hilfsorganisationen in Kontakt und versuche, Hilfe aus der Schweiz zu organisieren.
«Die türkisch-kurdischen oder alevitischen Vereine in der Region Basel verbünden sich jetzt und wollen heute Abend erste Lastwagen mit Hilfsgütern aus Rheinfelden in die Türkei und nach Syrien losschicken», sagt Arslan. Wichtig seien vor allem jetzt zur Winterzeit genügend Zelte, Schlafsäcke, Nahrungsmittel und Hygieneartikel – auch Beleuchtung, denn vielerorts ist die Stromversorgung unterbrochen. Der Zugang nach Syrien sei für Hilfsorganisationen grundsätzlich schwierig, was besonders besorgniserregend sei, sagt sie.
Am Montagabend werde auch sie sich mit Freunden und Vereinen treffen, um die Hilfsaktion zu koordinieren.
SP-Nationalrat bangt um Verwandte
Auch SP-Nationalrat Mustafa Atici, ebenfalls aus Basel-Stadt, würde gerne an den Hilfsbemühungen in Basel teilnehmen – doch er befindet sich derzeit in Taipeh mit der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz-Taiwan. Nachdem er am Montagnachmittag stundenlang nicht von seiner Mutter gehört hatte, habe er am Dienstag die erste gute Nachricht bekommen: «Meiner Mama geht es gut.» Doch noch immer seien Verwandte von ihm unter den Trümmern begraben, die Rettungskräfte erreichten die Verschütteten in den Dörfern, im Gegensatz zu den städtischen Gebieten, immer noch nicht, erzählt Atici. «Ich bin schockiert und unendlich traurig.»
Den Nationalrat erreichten während der Nacht dutzende Anrufe von besorgten Personen, die ihre Familien und Freunde nicht auffinden könnten. «Die Menschen schreien um Hilfe und trotzdem klappt die Koordination nicht – die Türkei sollte ihr ganzes Militär, die Zivilorganisationen und die Behörden zur Verfügung stellen», fordert Atici. Für die verschütteten Menschen zähle jede Sekunde.
Kritik an missachteten Bauvorschriften
Für Atici sei jetzt wichtig, dass auch die Schweizer und ausländischen Rettungskräfte möglichst schnell vor Ort sein könnten, um möglichst viele verschüttete Menschen noch retten zu können. «Es werden viele Menschen aus dem Ausland Materialien für die Türkei und Syrien organisieren – jetzt braucht es aber vor Ort möglichst gut gebündelte und koordinierte Rettungskräfte mit der richtigen Expertise», sagt der SP-Nationalrat.
Atici äussert auch Kritik an seinem Heimatland. Nach dem grossen Erdbeben in Istanbul im Jahre 1999 habe man festgestellt, dass viele Bauvorschriften missachtet worden seien. Die Region, in der das Erdbeben vom Montag passierte, sei die bekannteste Erdbeben-Region in der Türkei, Wissenschaftler warnten bereits seit Jahren vor einer grossen Erschütterung: «Wenn ich also Gebäude sehe, die vergangenen Sommer gebaut wurden und von denen jetzt nur noch ein Aschehaufen zurückgeblieben ist, bin ich mir sicher, dass auch in diesem Falle die Bauvorschriften nicht eingehalten wurden», sagt Atici.
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