Opfer von Sexualdelikt: «Ich habe drei Jahre Demütigung erfahren, er geniesst die Freiheit»

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Opfer von Sexualdelikt«Ich habe drei Jahre Demütigung erfahren, er geniesst die Freiheit»

In einer emotionalen Ansprache wandte sich das Opfer eines schweren Sexualdelikts am Mittwochabend an einer Kundgebung in Basel an die Öffentlichkeit. Ihr Fall hätte neu verhandelt werden sollen, doch der Berufungsprozess platzte kurzfristig.

von
Jeanne Dutoit
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Am Mittwochabend demonstrierten rund 100 Personen auf dem Basler Marktplatz gegen sexuelle Gewalt. 

Am Mittwochabend demonstrierten rund 100 Personen auf dem Basler Marktplatz gegen sexuelle Gewalt. 

20 Minuten
Die Kundgebung nahm Bezug auf einen Fall von sexueller Gewalt, der am Mittwoch hätte vor dem Appellationsgericht verhandelt werden sollen.

Die Kundgebung nahm Bezug auf einen Fall von sexueller Gewalt, der am Mittwoch hätte vor dem Appellationsgericht verhandelt werden sollen.

20 Minuten
An der Kundgebung wandte sich auch das Opfer von sexueller Gewalt an die Öffentlichkeit, deren Fall am Mittwoch hätte verhandelt werden sollen. Die betroffene Frau ist nicht abgebildet.

An der Kundgebung wandte sich auch das Opfer von sexueller Gewalt an die Öffentlichkeit, deren Fall am Mittwoch hätte verhandelt werden sollen. Die betroffene Frau ist nicht abgebildet.

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Darum gehts

«Ich habe drei Jahre auf den heutigen Tag gewartet», sagt die junge Frau mit brüchiger Stimme am Mittwochabend auf dem Basler Marktplatz. Rund 100 Menschen haben sich hier zu einer Solidaritätskundgebung gegen sexuelle Gewalt eingefunden. Anlass ist ein Fall, der am Mittwoch hätte vor dem Appellationsgericht verhandelt werden sollen. Die junge Frau mit der bebenden Stimme ist das Opfer des schweren Sexualdelikts in diesem Fall. 

Im Sommer 2019 habe sie ein Mann vergewaltigt. Während der Tat drohte er ihr, mit einem zerbrochenen Glas in den Rücken zu ritzen und schlug ihr ins Gesicht, so die Anklage. Der sexuelle Gewaltakt spielte sich in den frühen Morgenstunden in der Kleinbasler Wohnung des Mannes ab. Bevor er sein Opfer misshandelte, nahmen die beiden Kokain und Urbanyl, ein Medikament, das zur Beruhigung verschrieben wird. Die Frau konsumierte die Betäubungsmittel freiwillig, habe aber letztlich damit dem Wunsch des Beschuldigten entsprochen, befand das Basler Strafgericht in seinem Urteil im Februar 2021. 

Die Furcht vor dem Täter bleibt

Kennen gelernt haben sich die Frau und der heute 35-Jährige im Internet. Es war das zweite Treffen, als es zur angeklagten sexuellen Nötigung gekommen ist. «Brutal vergewaltigt» habe er sie, schilderte das Opfer den drei Richterinnen und Richtern, was ihr in jenen Stunden angetan wurde, während des Prozesses am Strafgericht. Sie habe ihn angefleht, von ihr abzulassen. Der Mann machte hingegen geltend, dass er nicht bemerkt habe, dass er dies gegen den Willen der Frau getan habe. Dennoch räumte er vor Gericht ein, dass ihn Vergewaltigungsszenen sexuell erregen und er Frauen gerne dominiere.

Das Strafgericht sprach den Mann der sexuellen Nötigung schuldig. Sein Strafmass: zwei Jahre und 14 Monate Freiheitsstrafe, davon vier Monate mit bedingtem Strafvollzug. Das Urteil wurde nie rechtskräftig. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Beschuldigte gingen in Berufung. Am Mittwoch hätte der Fall vor dem Appellationsgericht neu aufgerollt werden sollen. Doch die Verhandlung wurde kurzfristig abgesagt. «Eine Partei hat aus gesundheitlichen Gründen Verhandlungsunfähigkeit geltend gemacht und einen entsprechenden Nachweis eingereicht», so das Appellationsgericht auf Anfrage von 20 Minuten. Bei der Person handelt es sich um den 35-jährigen Beschuldigten.

Trotzdem sagt die Betroffene am Mittwochabend: «Heute ist mein Tag X, ich schliesse heute ab. Ich habe drei Jahre Demütigung erfahren und er geniesst noch immer die Freiheit.» Sie habe immer noch Angst vor dem Täter, dem sie immer wieder begegne. «Du besitzt mich nicht», sagt sie entschlossen. Sie werde es feiern, wenn das Urteil dann falle. Obschon sie auch befürchte, dass es milder ausfallen könnte. «Aber heute verurteile ich ihn hier vor euch. Er ist der Vergewaltiger.» 

Demütigende Befragungen

Sie thematisiert in ihrer Ansprache auch, wie schmerzhaft das Verfahren für sie gewesen sei. In einem Interview mit «Bajour» schilderte die Betroffene schon vor dem Prozess am Strafgericht, wie sehr sie der Weg bis zum Prozess psychisch mitgenommen habe. So sehr, dass sie heute nicht mehr zur Polizei gehen würde. Die Last, die Opfer von sexueller Gewalt auferlegt würde, wenn die Tat zur Anzeige gebracht werden solle, sei untragbar. Besonders demütigend habe sie die Befragung bei der Staatsanwaltschaft empfunden. Dort prasselten misstrauische Fragen auf sie ein, immer und immer wieder habe sie sich für ihr Erlebtes rechtfertigen müssen.

Wann die Berufungsverhandlung vor dem Appellationsgericht stattfinden wird, ist noch nicht bekannt. Die Anwältin der Betroffenen wollte sich auf Anfrage noch nicht dazu äussern. 

Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?

Hier findest du Hilfe:

Polizei nach Kanton

Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz

Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche

Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein

Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer

LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133

Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Beratungsstellen für gewaltausübende Personen

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