Asexualität«Ich habe mich schon verliebt»
Ein Prozent der Bevölkerung ist asexuell. So auch Mascha: Sie erzählt von Vorurteilen, ihren Freunden und ihren Zukunftswünschen.
- von
- sil
«Vor zwei Jahren habe ich eine Sendung über eine asexuelle Frau im Internet gesehen. Da fiel mir auf: Das könnte ich sein! Ihre Gedanken und Beschreibungen kamen mir unglaublich bekannt vor.» Mascha* ist 23 Jahre alt, Studentin und kommt aus der Region Bern. Sie ist asexuell. Sie möchte anonym bleiben, denn sie befürchtet, dass ein öffentliches Bekenntnis zur Asexualität ihre Berufschancen mindert.
«Ich habe mich schon verliebt», erzählt Mascha. Doch nie habe sie das Bedürfnis nach mehr gehabt. «Mit der Zeit machte ich mir so meine Gedanken. Ich fragte mich, was mit mir los sei.» Seit zwei Jahren wisse sie nun: «Ich bin asexuell.»
Liebe ohne Sex
Zur Sexualberaterin Bettina Disler kommen auch Personen, die asexuell sind. Asexualität beschreibt das Nichtvorhandensein von sexueller Anziehungskraft. Innerhalb dieser sexuellen Orientierung gibt es laut Disler mehrere Variationen: «Einige sind in einer Beziehung und haben Sex, auch wenn er für sie keine Bedeutung hat. Andere suchen körperliche Nähe durch Kuscheln und Küssen, wollen aber keinen Sex. Und wieder andere möchten überhaupt nicht berührt werden.» Asexuelle Personen könnten aber dennoch romantische Gefühle haben. «Lieben ist auch ohne Sex möglich», sagt Disler.
Familie und Freunde von Mascha haben verständnisvoll auf ihr Outing reagiert. Sie erzählt, dass einige ihrer Freunde sich sogar von sich aus über Asexualität informiert haben. Mascha: «Einige Asexuelle haben aber nicht so viel Glück wie ich. Ihre Familien können sie nicht verstehen.» Sie habe nur eine negative Reaktion erlebt: Eine Freundin habe zu ihr gesagt, sie solle sich professionelle Hilfe holen. «Es ist bitter, so etwas zu hören.» Den Kontakt zu ihr habe sie danach abgebrochen.
Asexuelle müssen aktiver werden
Ein Prozent der Bevölkerung ist asexuell, wie eine Studie von 2004 zeigt. Gemäss Disler ist Asexualität in der Schweiz kein Tabuthema, aber: «Betroffene fühlen sich oft allein, da die Thematik noch zu wenig sichtbar ist.» Manche Asexuelle suchten darum die Therapie, um darüber zu sprechen. Disler fordert Betroffene dazu auf, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen. «Nur so können sie der Isolation entgehen.»
«Bin ich normal?» und «Wer bin ich überhaupt?» sind häufige Fragen, die Disler gemeinsam mit ihnen zu beantworten versucht. «Im Gegensatz zu Homosexuellen outen sich Asexuelle weniger bei Freunden und der Familie, sondern sie versuchen, im Stillen damit umzugehen», erklärt die Zürcher Sexualberaterin.
«Verlieben ist wichtiger»
Eine Beziehung hatte Mascha noch nie. «Bisher fehlte mir die Zeit dafür», sagt sie. Sie könne es sich aber vorstellen, mit jemandem eine feste Beziehung zu führen. Ob die andere Person asexuell sei oder nicht, spiele für sie keine Rolle. «Das Verlieben ist wichtiger.»
Gehen asexuelle Personen eine Beziehung ein, kommen sie laut Disler nicht darum herum, mit ihrem Partner ihre Bedürfnisse oder Tabus zu verhandeln: «Jeder muss für sich selbst herausfinden, wo seine Grenzen liegen.»
Kampf gegen Vorurteile
Während des Erzählens betont Mascha immer wieder: «Wir sind Menschen wie alle anderen.» So möchte sie von der Gesellschaft wahrgenommen werden. Würde man auf die Vorurteile verzichten, hätten mehr Menschen – insbesondere mehr Männer – den Mut, sich als asexuell zu outen. Eine Stütze findet Mascha in der Organisation Asexuelles Spektrum Schweiz. «Es ist einfach cool, mit Leuten Zeit zu verbringen, denen man nichts erklären muss», sagt sie.
Die Organisation versucht, Asexualität durch Events und Informationen sichtbarer zu machen. «Viele haben noch Vorurteile, wie dass man Asexualität heilen könnte, weil es eine Krankheit sei. Oder dass man ein Trauma erlebt haben muss, um asexuell zu sein», sagt Gianna Ferrari, Sprecherin von Asexuelles Spektrum Schweiz. Mit denselben Aussagen hätten auch Homo- und Bisexuelle in der Vergangenheit kämpfen müssen.
An die monatlichen Treffen von Asexuelles Spektrum Schweiz kommen laut Ferrari rund 20 Personen. «In den letzten Jahren ist unsere Community rasant gewachsen. Mittlerweile sind wir etwa 200 Personen.» Die Organisation richte sich hauptsächlich an junge Leute und sei Teil der LGBTQ-Bewegung.
* Name der Redaktion bekannt.