Schulden wegen Sportwetten: Fabio hat fast 250'000 Franken verzockt

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Glücksspiel-Sucht«Ich habe mit Sportwetten fast 250’000 Franken Schulden angehäuft»

Fabio ist 24. Um seine Schulden zu sanieren, müsste er bis 37 am Existenzminimum leben. Ein Unfall, Langeweile und Corona trieben ihn in die Spielsucht – damit ist er bei Weitem nicht allein.

von
Daniel Graf
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Der 24-jährige Fabio ist in eine Spielsucht abgerutscht. 

Der 24-jährige Fabio ist in eine Spielsucht abgerutscht. 

20min/Matthias Spicher
Fabio heisst in Wirklichkeit anders. Um seine berufliche Zukunft nicht zu verbauen, möchte er nicht namentlich genannt werden. 

Fabio heisst in Wirklichkeit anders. Um seine berufliche Zukunft nicht zu verbauen, möchte er nicht namentlich genannt werden. 

20min/Matthias Spicher
Trotzdem will Fabio seine Geschichte erzählen – um anderen zu sagen: «Holt euch Hilfe, bevor ihr an dem Punkt seid, wo ich jetzt bin.» 

Trotzdem will Fabio seine Geschichte erzählen – um anderen zu sagen: «Holt euch Hilfe, bevor ihr an dem Punkt seid, wo ich jetzt bin.» 

20min/Matthias Spicher

Darum gehts

  • Innerhalb von drei Jahren hat sich die Anzahl Geldspiel-Süchtiger mehr als verdoppelt. 

  • Betroffen sind vor allem 18- bis 29-Jährige. 

  • Auch der heute 24-jährige Fabio ist in eine Glücksspiel-Sucht abgerutscht. 

  • Heute arbeitet er an der Schuldensanierung – bis er schuldenfrei ist, dauert es noch länger als die Hälfte seines bisherigen Lebens. 

Fabio* ist 24 und hat fast 250’000 Franken Schulden. Vor allem wegen Sportwetten und Online-Casinos. «Meine Spielsucht kostete mich meinen Job, meine Partnerin verliess mich, viele Freunde wandten sich von mir ab und die Beziehung mit meiner Familie ging beinahe in die Brüche. Bis ich meine Schulden saniert habe, müsste ich 13 Jahre am Existenzminimum leben», erzählt er. Dies ist seine Geschichte.

Seit dem Kindesalter ist Fabio begeisterter Sportler, spielte erst Fussball, später kam Tennis dazu. Er wuchs in ländlichem Umfeld auf. «Meine Familie war nicht reich, doch es hat uns nie an etwas gemangelt. Meine Kindheit war glücklich», sagt Fabio. 2017 fing er mit den Sportwetten an – ausgelöst durch einen Unfall. «Ich konnte drei Monate nicht arbeiten und keinen Sport machen. Die Langeweile hat mich ins Geldspiel getrieben.»

Aus drei Franken Einsatz werden 300

Er zockt gemeinsam mit den Kollegen aus dem Fussballklub. «Erst setzten wir nur kleine Beträge, drei Franken hier, fünf Franken dort.» Auf dem Fussballplatz wird mit dem Gewinnen geprahlt – «die Verluste habe ich zunehmend lieber verschwiegen», sagt Fabio. Denn sie sind grösser geworden. «Gelang es einmal, aus zehn Franken 600 zu machen, setzte ich beim nächsten Mal 300 davon auf eine Wette. Es war ja schliesslich mein Gewinn.» Doch schon bald merkt Fabio: Wer einmal 300 Franken gesetzt hat, dem geben danach Wetten von fünf Franken nicht mehr den ersehnten Kick.

Dass Fabio immer wieder auch Gewinne gemacht hat, ist Teil des Problems: «Ein Spieler, der ein halbes Jahr zockt und nie gewinnt, wird von alleine wieder aufhören. Doch durch das Hochjubeln der Gewinne und das Verdrängen der Verluste kam ich in einen Teufelskreis.» Erst verspielt Fabio den eigenen Lohn. Bald merkt er: «Mein Lohn beträgt 4500 Franken, im nächsten Monat warten aber schon aufgestaute Rechnungen und Rückzahlungen über 6000 Franken.»

«Realitätsverlust, Zwang – ich war im klassischen Sinne süchtig»

Auch wenn er es noch nicht wahrhaben will, ist Fabio süchtig geworden nach dem Zocken. Er fängt an, Freunde und Familie anzupumpen. «Natürlich sagte ich ihnen erst nicht, dass das Geld für meine Spielsucht ist. Ich zeigte ihnen Rechnungen, die ich bezahlen musste und verspielte danach das Geld, das sie mir gaben.» Erst, als das nicht mehr funktioniert, pumpt er gezielt Freunde und Familie an mit dem Vorwand, dass er andere Schulden zurückzahlen wolle.

In dieser Phase seiner Sucht ist der Kick des Wettens längst verflogen. «Ich war nur noch gestresst, meine Gedanken drehten sich um nichts anderes als darum, wie ich Geld beschaffen und über die Runden kommen kann. Doch ich konnte gar nicht anders, ich musste weiterzocken, litt unter Realitätsverlust. Wenn es ums Zocken ging, log ich jeden an, von dem ich mir Geld erhoffte. Ich verzockte ohne mit der Wimper zu zucken 1000 Franken, die mir ein Freund ausgeliehen hatte, um meine Schulden abzubauen.»

Kritik an Gesetz und Anbietern

Für Fabio ist klar: «Die Online-Anbieter von Glücksspiel sollten stärker in die Pflicht genommen werden, um problematisches Verhalten und Sucht zu verhindern.» Er würde sich beispielsweise verpflichtende Hinweise wünschen, wenn jemand beispielsweise bereits 10’000 Franken verspielt hat. «Auch Hilfsangebote müssten auf den Webseiten prominenter platziert werden.» Ein Problem seien auch die vielen illegalen Online-Anbieter. «Als ich versucht habe, aufzuhören, habe ich illegale Seiten gemeldet. Doch es dauerte oft bis zu einem halben Jahr, bis sie gesperrt wurden.» Deshalb sieht Fabio auch Politik und Gesetzgeber in der Pflicht, das neue Geldspielgesetz durchzusetzen. 

Das Kartenhaus fällt in sich zusammen

Als Fabio die Tragweite des Problems langsam bewusst wird, versucht er erst, das Problem selbst anzugehen. «Ich liess mich schweizweit bei allen Online-Casinos und bei Swisslos sperren und ging auch zu einem Psychiater.» Doch das hilft nicht: «Sportwetten gibts am Kiosk und Glücksspiel wird online trotz Verbot von Dutzenden Seiten angeboten. Wer süchtig ist, findet heute trotz Sperre einen Zugang zum Glücksspiel», sagt Fabio.

Erst, als er dabei erwischt wird, wie er im Büro seines Arbeitgebers in die Barkasse greift, fällt das Kartenhaus in sich zusammen. «Dass ich meinen Job verloren habe, konnte ich nicht lange verheimlichen. Innerhalb von Tagen kam das ganze Netzwerk aus Lügen und Schulden ans Licht. In dieser Zeit ging es mir extrem schlecht, ich habe mein Zimmer kaum verlassen.» Fabios Freundin stellt ihn auf die Strasse. «Nicht wegen der Schulden, sondern weil ich sie so lange angelogen und ihr Vertrauen missbraucht habe. Ich verstehe das heute.»

Fabios Zukunft ist geprägt von Unsicherheiten

Seine Eltern holen ihn wenig später von der Strasse ab. «Sie wussten zu dem Zeitpunkt alles. Natürlich schmerzte es sie extrem, doch sie hielten zu mir. Also liess ich mich in die Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel einweisen. Erst da realisierte ich Stück für Stück, wie süchtig ich die letzten 1,5 Jahre gewesen war, und welchen Schaden ich damit angerichtet habe.»

Nun präsentiert sich das ganze Ausmass: 230’000 Franken Schulden hat Fabio seit 2017 angehäuft. Er wird ausgesteuert. Von seinem Lohn kriegt er nur, was er zum Leben braucht. «Geht es so weiter, bin ich 37, bis ich meine Schulden abbezahlt habe», sagt der 24-Jährige. Dass diese lange Zeit ziemlich aussichtslos werden kann, weiss er jetzt schon: «Ich würde mich gerne mit einem Studium weiterbilden können, was mit einer Pensumreduzierung verbunden ist. Vielleicht möchte ich in diesen 13 Jahren auch einmal eine Familie gründen. Dann werde ich die Situation neu beurteilen müssen.»

Hast du auch schon gezockt? 

Trotz dieser Aussichten ist Fabio froh, dass er den Teufelskreis durchbrechen konnte. Weg sei die Spielsucht deswegen aber nicht. «Nach dem Schock normalisiert sich mein Leben langsam wieder. Damit kehrt auch die Sucht zurück.» Bei jedem Fussballspiel sieht er die Bandenwerbung von Sporttipp. Zockt jemand im Publikum, erkennt Fabio ihn sofort. «Es ist das Verhalten, der gehetzte Blick aufs Handy.» Läuft er am Kiosk vorbei, schielt er auf den Tippstand. Besonders wenn das Geld knapp wird, steigt der Druck, das Geld wieder beim Zocken einzusetzen.

«Wartet nicht, bis ihr so weit seid, wie ich»

Helfen tun ihm die Freunde, die geblieben sind, und die Familie. «Jetzt, wo ich den schlimmsten Teil der Sucht hinter mir habe, kann ich mich wieder an den kleinen Dingen im Leben erfreuen. Und ich bin gesund, mir geht es verhältnismässig gut. Ich versuche, das Gute zu sehen.»

Fabio spricht offen über seine Sucht, um anderen zu helfen. Einer seiner wichtigsten Tipps: «Wenn ihr den Verdacht habt, dass jemand süchtig ist, gebt ihm kein Geld. Nie. Wenn überhaupt, bezahlt seine Rechnungen direkt, aber gebt ihm auf keinen Fall Geld. Er wird es für die Sucht ausgeben.»

Wenn auch nur jemand, der das liest und sich wiedererkennt, sich rechtzeitig Hilfe holt, hat es sich für Fabio gelohnt. «Euch kann ich nur raten: Wartet nicht, bis ihr in meiner Situation seid. Süchtig zu sein, ist eine Krankheit, keine Schande. Holt euch Hilfe.» 

Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine Spiel-, Kauf-, Online- oder eine andere Verhaltenssucht?

Hier findest du Hilfe:

Spielen ohne Sucht, Tel. 0800 040 080

Safezone.ch, anonyme Onlineberatung bei Suchtfragen

Feel-ok, Informationen für Jugendliche

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