«Ich habe null geschlafen» - so leiden Kinder, wenn die Eltern verhaftet werden

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Eltern im Gefängnis«Ich habe null geschlafen» – so leiden Kinder, wenn die Eltern verhaftet werden

Eine Studie zeigt, wie es Kindern inhaftierter Eltern in der Schweiz geht. Die Autoren empfehlen dringend Massnahmen.

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Eine Studie der ZHAW zeigt, wie es den Kindern von inhaftierten Eltern in der Schweiz geht. Die Autoren machen mehrere Empfehlungen.

Eine Studie der ZHAW zeigt, wie es den Kindern von inhaftierten Eltern in der Schweiz geht. Die Autoren machen mehrere Empfehlungen.

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In der Deutschschweiz haben die Interessen der Kinder inhaftierter Eltern weniger Beachtung als in der Romandie und im Tessin. Im Bild: Anstalt in Pöschwies.

In der Deutschschweiz haben die Interessen der Kinder inhaftierter Eltern weniger Beachtung als in der Romandie und im Tessin. Im Bild: Anstalt in Pöschwies.

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Darum gehts

  • Der Bund hat untersuchen lassen, wie es Kindern inhaftierter Eltern geht.

  • Die Studie gibt Antworten und Empfehlungen.

  • Dringend sei etwa, bei Verhaftungen auf Kinder Rücksicht zu nehmen.

Niemand weiss, wie viele Kinder es in der Schweiz gibt, deren Väter oder Mütter im Gefängnis sitzen. Die Situation von Minderjährigen mit inhaftierten Eltern ist ein unerforschtes Feld. Das Bundesamt für Justiz hat deshalb eine Studie bei der ZHAW in Auftrag gegeben, wie es diesen Kindern geht. Die Autoren empfehlen dringend, Massnahmen zu ergreifen (siehe Box).

79 Interviews wurden für die Studie durchgeführt, auch mit betroffenen Jugendlichen. Sie alle verbinden die Inhaftierung von Vater oder Mutter mit Trauer und Schock. So erzählt ein Mädchen aus der Deutschschweiz, zwischen zwölf und 18 Jahre alt, wie die Mutter ins Gefängnis kam. Diese war offensichtlich zu einer Haftstrafe verurteilt worden, die sie absitzen musste. Die Mutter sei selbstständig ins Gefängnis gegangen. Sie, die Tochter, habe dann zwei Tage lang nichts von ihr gehört und habe im Gefängnis angerufen. Dort habe sie aber keine Informationen bekommen. Es habe dort niemand gewusst, dass die Mutter komme, «dass sie überhaupt kommen muss». Sie habe sich «mega Sorgen gemacht und null geschlafen». Sie müsse warten, habe man ihr gesagt.

Die meisten Kinder gaben in der Befragung an, dass sie sich auf den Kontakt zum inhaftierten Elternteil freuen. Manche hoben den finanziellen Aspekt hervor, weil Telefonate aus dem Gefängnis teuer seien. Das Deutschschweizer Mädchen etwa sagte: «Ich kann einmal in der Woche anrufen, mein Bruder auch. Sonst ruft sie jeden Tag an. Aber es ist meistens schwierig, weil es sehr viel Geld kostet, deswegen kann sie auch nicht so lange und ich finde das einfach doof.»

«Es gibt Menschen, die Schlechteres gemacht haben»

Ein Jugendlicher aus der Romandie erzählt über seinen inhaftierten Vater: «Wenn ich ihm sage, dass er mir leidtue ... Am Anfang habe ich ihm gesagt, dass ich Mitleid mit ihm habe, er hat gesagt, dass es nichts bringt, dass ich mein eigenes Leben führen muss. Er sagte, ich sei gross.»

Der Junge empfindet es als ungerecht, dass sein Vater im Gefängnis ist. «Mein Vater, was er getan hat, er verdient kein Gefängnis. Nun, vor allem ... Ich weiss nicht, wie ich es erklären soll: Es ist eine echte Schande, weil es Menschen gibt, die Schlechteres gemacht haben als mein Vater.» Die Mutter habe ihm erzählt, wie es dazu gekommen sei: «Weil er die Schweizer Papiere nicht hatte. Wir wussten also, warum.»

Dringende Empfehlungen

Wenn möglich, keine Verhaftung vor den Augen des Kindes

In der Deutschschweiz wird den Kindern inhaftierter Eltern weniger Beachtung geschenkt als in der Romandie und im Tessin. In der Westschweiz gibt es eine Stiftung, im Tessin eine Anlaufstelle, die den Kontakt von Kindern zu ihren inhaftierten Eltern fördern. In der Deutschschweiz gibt es das nicht. Die Studienautoren empfehlen dies und ebenso weitere Massnahmen zum Schutz der Kinder.

Dringend sei etwa, bei einer Verhaftung darauf zu achten, dass, wenn immer möglich, keine Kinder dabei seien. Bereits vor der Verhaftung solle die Polizei prüfen, ob die Person Kinder habe, und das Vorgehen entsprechend planen. Ebenfalls dringend empfohlen wird die Etablierung von Kinderbeauftragten in jeder Vollzugsanstalt. In Dänemark etwa sei diese Funktion mit 20 Stunden pro Monat dotiert.

Für dringlich befinden die Studienautoren auch, bei Inhaftierten in erhöhter Sicherheitshaft den Zugang für die Kinder zu verbessern. In Untersuchungshaft haben die Angehörigen am wenigsten Kontaktrechte. In diesem Haftregime müsse nach Möglichkeiten gesucht werden, den Kontakt mit den Kindern zu verbessern. Wenn Kollusionsgefahr bestehe, könne etwa eine externe Fachperson das Kind zum Elternteil bringen.

Wichtig sei auch, die Zugänge zum Gefängnis kindergerecht zu gestalten, durch Zufahrtswege, -gänge und Räume, die die Kinder nicht unnötig traumatisieren.

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