Helfer im Katastrophengebiet«Ich habe Sachen gesehen, die ich nie wieder vergessen werde»
Die Suche nach Verschütteten im Katastrophengebiet läuft auf Hochtouren. Privatpersonen aus der Schweiz sind in die Türkei gereist, um zu helfen.


- von
- Lena Wilczek ,
- Lynn Sachs ,
- Thomas Obrecht
Darum gehts
Das Erdbeben in der Türkei und in Syrien löst grosse Solidarität aus: Neben vielen Rettungsteams aus dem Ausland und einer Schweizer Crew sind auch Privatpersonen ins Katastrophengebiet gereist. «Die Bilder im Fernsehen und Internet haben mich erschüttert», sagt Samet (31) aus Solothurn. Gemeinsam mit seinem Cousin flog er am Montag nach Istanbul. «Ich bin bei der freiwilligen Feuerwehr. Wenn ich Leute in Not sehe, muss ich etwas tun – und hier handelt es sich noch um meine Heimat», so Samet.
Am Dienstag sei er in Hatay angekommen und habe seitdem den Einsatzkräften bei der Suche und Rettung von Verschütteten geholfen. «Ich konnte mir nicht vorstellen, welches Elend mich erwarten wird. Ich habe Sachen gesehen und Situationen erlebt, die ich wahrscheinlich nie wieder vergessen werde. Ich muss das alles erst sacken lassen», sagt Samet. Am Wochenende wird der Solothurner zurück in die Schweiz reisen, weil er nächste Woche arbeiten muss.
20-Minuten-Reporterin Lena Wilczek ist in das Katastrophengebiet gereist.
Auch Berke und Arda (beide 17) sind aus Istanbul nach Hatay gereist, um zu helfen. 20-Minuten-Reporterin Lena Wilczek hat die beiden bei ihrer Rückreise in die Schweiz am Flughafen in Adana getroffen. «Ich weiss nicht, wie ich bald wieder zur Schule gehen soll. Ich habe so viele Tote und Blut gesehen», sagte Berke.
Er habe Kopfschmerzen und in den letzten Tagen nur etwa sechs Stunden geschlafen. Am meisten belastete ihn, dass er niemanden habe retten können. «Viele waren schon tot. Wenn ich meine Augen schliesse, sehe ich Steine, Trümmerteile und Blut. Ich höre immer noch die Stille. Meine Psyche ist kaputt», so Berke.
Welche Unterstützung brauchen Retterinnen und Retter?
«Jede Helferin und jeder Helfer kann selbst zum Betroffenen werden. Die Grundhaltung ist auch hier: Wir wissen nicht, was ihnen guttut, wir müssen dies erfragen. Die eigene Strategie im Umgang mit Stress muss nicht unbedingt für den anderen hilfreich sei», sagt Petra Strickner, Leiterin Freiwilligenteam & Notfallpsychologie der Stiftung Carelink. Es sei wichtig, dass sie Anerkennung für die Schwere des Einsatzes finden und die Möglichkeit haben, das Erlebte bei Bedarf mit einer Fachperson anzuschauen, auch nach ihrer Rückkehr aus dem Katastrophengebiet. Zentral sei zudem, dass die Helferinnen und Helfer schon vor Ort in eine Struktur eingebettet sind. «Ebenfalls brauchen sie Ruhezeiten und wenn möglich, sichere Rückzugsorte. Der Austausch zwischen den Kollegen ist ein wichtiger Teil der Aufarbeitung des Erlebten. Diese haben dasselbe miterlebt – das schafft Verbundenheit», sagt Strickner.
Medizinische Fachkenntnisse nötig
«Wer jetzt nach Syrien und in die Türkei reisen möchte, um zu helfen, muss dies wohl auf eigene Faust und auf eigenes Risiko tun», sagt Martina Ziegerer, Geschäftsleiterin der Zertifizierungsstelle Zewo. Vor Ort werden in der Regel Helfende mit Fachkenntnissen, Erfahrung in der Bergungs- und Betreuungsarbeit oder lokalen Kenntnissen benötigt.
Wer bei Bergungs- und Betreuungsarbeiten helfen wolle, müsse medizinische Fachkenntnisse mitbringen und im Umgang mit den für die Bergung nötigen Maschinen vertraut sein, wie beispielsweise Rettungssanitäter und Feuerwehrleute. «Zudem muss man dafür geschult sein, Bilder und Eindrücke aus Krisengebieten verarbeiten zu können, um nicht unter der psychischen Belastung zu leiden und sich selbst zu überfordern», sagt Ziegerer.
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«Es braucht geschulte Spezialisten, um Überlebende aus den Trümmern retten zu könnten»
Felix Gnehm, Geschäftsleiter von Solidar Suisse, hat Verständnis dafür, dass Private als Reaktion auf die Katastrophenbilder den Drang verspüren, in betroffene Gebiete zu reisen und den Leuten helfen zu wollen. Für ungeschulte Personen sei ein freiwilliger Einsatz noch zu früh. «Es braucht geschulte Spezialisten, um Überlebende aus den Trümmern retten zu können», sagt Gnehm.
Laien fehle dieses Knowhow: «Sie wissen nicht, wie man eine Person sicher birgt, ohne sich und andere durch weitere Einstürze zu gefährden.» In drei Monaten sei die Situation eine andere: «Wenn alle Betroffenen geborgen sind, gibt es eher Möglichkeiten für freiwillige Helferinnen und Helfer beim Wiederaufbau mitzuhelfen, aber das sollte sorgfältig geplant werden», so Gnehm. Wer jetzt schon helfen will, spende besser Geld. «Damit kann man den Fachpersonen helfen, die bereits im Einsatz sind.»
Hilfst du auch?
So kannst du helfen
Spendensammlungen von Hilfsorganisationen:
ADAF (Türkisches Amt für Katastrophenmanagement)
AHBAP (Non-Profit-Organisation)
Turkishphilantropyfunds (US-amerikanische Non-Profit-Organisation)
Sammlungen von Sachspenden:
Sachspenden Industriestrasse 8, Winterthur (Sachspenden gesucht)
Sachspenden Grünaustrasse 16, Dietikon (Sachspenden gesucht)
Sachspenden MTS Patiententransport, Walkenweg 80, Basel
Sachspenden Zentralstrasse 78, Zürich (Personen zum Sortieren gesucht)
Hast du oder hat jemand, den du kennst, ein Trauma erlitten?
Hier findest du Hilfe:
Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858
Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK, Tel. 058 400 47 77
Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Trauerst du oder trauert jemand, den du kennst?
Hier findest du Hilfe:
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Seelsorge.net, Angebot der reformierten und katholischen Kirchen
Muslimische Seelsorge, Tel. 043 205 21 29
Jüdische Fürsorge, info@vsjf.ch
Lifewith.ch, für betroffene Geschwister
Verein Familientrauerbegleitung.ch
Verein Regenbogen Schweiz, Hilfe für trauernde Familien
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Pro Senectute, Beratung älterer Menschen in schwierigen Lebenssituationen
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