Nach 30 JahrenIV-Rentner wegen sexuellem Missbrauch an Brüdern schuldig gesprochen
Das Bezirksgericht Dietikon hat den 48-jährigen Schweizer zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Ins Gefängnis muss der Pädokriminelle damit nicht.
- von
- Stefan Hohler
Darum gehts
Ein 48-Jähriger hat vor rund 30 Jahren bei zwei Brüdern im Alter zwischen acht- und fünfzehn Jahren sexualisierte Gewalt ausgeübt.
Seine Verteidigerin sprach von falschen Erinnerungen der beiden Brüder und forderte einen Freispruch.
Der Staatsanwalt verlangte wegen sexueller Handlungen mit Kindern eine unbedingte Freiheitsstrafe von vier Jahren.
Das Bezirksgericht Dietikon sprach den Mann schuldig.
Im Fall des IV-Rentners, der vor rund 30 Jahren ein Brüderpaar im Alter zwischen 8 und 15 Jahren sexuell missbrauchte, hat das Bezirksgericht Dietikon am Freitagnachmittag das Urteil gefällt. Der heute 48-jährige Schweizer wird wegen sexuellen Handlungen mit Kindern zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt - er muss also nicht ins Gefängnis. Zudem muss er den beiden Brüdern 25’000 Franken Genugtuung bezahlen.
Für das Gericht sind die Aussagen der Opfer glaubhaft; der Beschuldigte hat den Missbrauch immer bestritten. Es gebe keinen Grund, warum die Brüder nach solch langer Zeit den IV-Rentner falsch beschuldigen sollen. Dass eine Suggestion oder eine Pseudoerinnerung vorliege, wie die Verteidigerin argumentiert hat, sei nicht glaubhaft. «Die Aussagen der Brüder sind identisch», sagte der Richter.
Der Staatsanwalt hatte eine unbedingte Freiheitsstrafe von 48 Monaten gefordert. Dass Gericht ging deutlich darunter. Der Richter begründet dies damit, dass sich der Beschuldigte in den letzten 30 Jahren im Bereich von Sexualdelikten nichts zu schulden kommen liess. Zudem sei eine Strafreduktion zwingend vorzunehmen, wenn die Tat ohne die Unverjährbarkeitsinitiative schon verjährt wäre, was hier der Fall sei.
Täter war zur Tatzeit 20 Jahre alt
Der heute 48-jährige Schweizer aus dem Limmattal musste am Donnerstag vor Gericht antreten, weil er zwischen 1993 und 1997 zwei Brüder im Alter zwischen acht und 15 Jahren sexuell missbraucht hatte. Der Mann war zur Tat um die 20 Jahre alt und wohnte in der gleichen Siedlung wie die Opfer.
Ein erster Prozesstag vor dem Bezirksgericht Dietikon hat im letzten Oktober stattgefunden. Die Verteidigerin stellte damals den Antrag, das Verfahren einzustellen. «Die beiden Geschädigten konnten ihr damaliges Alter nicht mehr genau angeben. Das ist aber bei der Verjährung von zentraler Bedeutung», sagte sie. In der Schweiz ist schwerer sexueller Missbrauch von Kindern unter zwölf Jahren unverjährbar. Der Prozess wurde unterbrochen, um abzuklären, ob die Knaben damals noch nicht zwölfjährig waren oder schon älter. Die Frage also, ob die Taten verjährt sind oder noch nicht.
«Ich will das auch nicht wissen»
Aus diesem Grund hat das Gericht die beiden Brüder am Prozess am Donnerstag als Zeugen aufgeboten. Der Beschuldigte musste dabei den Gerichtssaal kurzfristig verlassen und in einem separaten Raum die Befragung über eine Videoübertragung verfolgen. Der ältere Bruder, ein heute 41-jähriger Familienvater, sagt: «Ich kann das nicht sagen und will das auch nicht wissen.» Er habe über all die Jahre versucht, den sexuellen Missbrauch zu verdrängen, was ihm auch relativ gut gelungen sei. Deshalb wolle er sich auch nicht mehr daran erinnern.
Der vier Jahre jüngere Bruder kann sich zum Zeitraum nicht genau äussern. Nur soviel: «Ich besuchte sicher die Unterstufenschule und war unter zwölf Jahre alt.» Und dann sagt er überraschend: «Ich rieche ihn immer noch – das ist mega krass!» Auch im separaten Raum, wo er nach der Befragung Platz genommen und der Beschuldigte vorher die Videoübertragung verfolgt hat, habe er ihn wieder gerochen.
Missbrauch ist beim älteren Bruder verjährt
Der Beschuldigte bestritt die Taten: «Ich habe das nicht getan», sagt er und verweigert jegliche weitere Auskünfte. Der Staatsanwalt fordert eine unbedingte Freiheitsstrafe von vier Jahren. Der sexuelle Missbrauch habe vor allem in der elterlichen Wohnung des Beschuldigten stattgefunden. Der Mann habe zuerst Pornos mit den Knaben geschaut, sie geküsst und am Penis angefasst und es sei zu Oralverkehr gekommen. Es seien beim jüngeren Bruder über mehrere Monate, ungefähr ein bis zwei Mal pro Woche, zu insgesamt zehn bis zwanzig sexuellen Übergriffen gekommen. Dabei habe der Beschuldigte aber keine Gewalt ausgeübt und die Knaben nicht unter Druck gesetzt. Im Fall des älteren Bruders sind die Taten verjährt, darum hat der Staatsanwalt dieses Verfahren eingestellt.
Der Fall flog auf, als der jüngere Bruder nach der Therapie bei einer Psychologin eine Anzeige erstattete. Der Beschuldigte wurde im August 2019 verhaftet und sass drei Wochen in Untersuchungshaft. Er hat eine halbe IV-Rente, ist suizidgefährdet und leidet unter Schizophrenie und bipolarer Störung. Seine Anwältin fordert die Einstellung des Verfahrens oder einen Freispruch. Sie spricht von falschen Erinnerungen oder Pseudoerinnerungen der beiden angeblichen Opfer. Die Brüder hätten nicht absichtlich die Unwahrheit gesagt. Erst nach der Therapie des jüngeren Bruders bei der Psychologin seien diese Kindheitserinnerung aufgetaucht. «Woher diese Erinnerungen stammen, wissen wir nicht, aber die Vorwürfe haben nicht stattgefunden», so die Anwältin.
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