Börsensüchtig«Ich verlor völlig die Kontrolle»
Bis zu fünfmal am Tag telefonierte Uli Hoeness mit der Bank und handelte mit Aktien. In der Schweiz sind 6000 Personen börsensüchtig. Ein Betroffener erzählt, wie die Börse ihn krank machte.
- von
- Deborah Onnis

Drei Jahre lang war der 56-Jährige börsensüchtig. Seit letztem Juni ist er in Therapie. (Symbolbild: Keystone)
Andreas Baumann*, Sie therapieren zurzeit Ihre Börsensucht. Wie hat diese angefangen?
Als gut verdienender Selbstständiger habe ich mich immer wieder mit Geldanlagen befasst. Zuerst legte ich das Geld in Sparkonten oder in der Pensionskasse an. Und dann will man das Geld auch mal anders investieren, zum Beispiel an der Börse. Zuerst konzentrierte ich mich auf das einfache Anlagegeschäft und kaufte einige Aktien. Dann wurde ich risikofreudiger.
Sie begannen zu spekulieren?
Ja, im Spekulationsgeschäft kann man innerhalb kurzer Zeit einen hohen Gewinn erzielen. Im Gegensatz zum normalen Anlagegeschäft, wo man Wochen, Monate oder Jahre warten muss, bis man etwas daran verdienen kann. Beim Spekulieren kann man wie im Casino innerhalb von Stunden ziemlich viel Geld verdienen.
Aber auch verlieren.
Insgesamt habe ich einige Hunderttausend Franken verloren.
Eigenes oder fremdes Geld?
Zuerst war es mein eigenes Geld. Als ich dann die ersten Verluste erlitt, fing ich an, Freunde unter Vorwänden um Geld zu bitten und versicherte ihnen, es bald zurückzahlen. Ich war überzeugt, die Verluste bald wieder gutmachen zu können. Am Schluss war ich aber nur noch verzweifelt, weil ich wusste, dass ich im Spekulationsgeschäft keine Chance hatte.
Warum hatten Sie keine Chance?
Bei den Börsengeschäften spekulierte ich auf Zeit und Ausübungspreis. Das heisst, ich musste das Börsengeschehen täglich beobachten, um rechtzeitig reagieren zu können. Wenn plötzlich irgendwo eine Krise ausbricht oder sonst etwas passiert, kann dies enorme Auswirkungen auf Aktienkurse haben. Um wirklich rechtzeitig reagieren zu können, muss man dauernd das Börsengeschehen verfolgen. Wenn ich wusste, dass ich Verluste aufholen musste, kam ich extrem unter Druck, verlor die Geduld und liess mich von meinen Emotionen leiten. Das war absoluter Kontrollverlust.
Hat Ihr Umfeld davon etwas gemerkt?
Nein, mein Umfeld hat am Anfang nichts davon mitbekommen. Wenn ich meine Freunde im Geheimen um ein Darlehen fragte, sagte ich ihnen nicht, dass ich es an der Börse einsetzen würde. Auch meine Frau merkte erst, dass etwas nicht stimmt, als wir uns plötzlich keine Renovation leisten oder sonst keine nötigen Investitionen tätigen konnten. Ich hatte ein extrem schlechtes Gewissen. Zudem litt ich plötzlich unter Vergesslichkeit, Stresszuständen und Schlafstörungen.
Wann zogen Sie die Notbremse?
Als mich im vergangenen Juni meine Frau direkt ansprach, ob ich ein Problem hatte. Da dachte ich, jetzt muss ich meine Karten aufdecken. Ich merkte, dass ich die Kontrolle über mein Börsengeschäft verloren hatte und schämte mich dafür, dass ich das selber nicht wiedergutmachen konnte. Ich hatte die vielen Ausreden satt. Ich gab alles zu und entschied, mir helfen zu lassen.
Sie meldeten sich bei der Ambulanz für Verhaltenssüchte der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel.
Ja, gleich im Juli fing ich die Therapie an und schon im September war ich plusminus wieder auf dem Damm.
Sind Ihre Freunde heute wütend auf Sie?
Ich hatte Glück, dass mir meine Freunde verziehen haben und verstehen, dass ich sie nicht aus Bosheit angelogen habe, sondern wegen meiner Krankheit. Ich stehe jetzt zum Schaden, den ich angerichtet habe, und will alle Schulden in den nächsten vier bis fünf Jahren zurückzahlen. Ich brauche länger Zeit, weil ich das Geld mit meiner normalen Tätigkeit erarbeiten will.
Sie lassen jetzt also gänzlich die Finger von der Börse?
So würde ich das jetzt nicht sagen. Ich verurteile das normale Anlagegeschäft, dass mit minimalem Risiko verbunden ist, nicht. Ich werde aber bestimmt nicht mehr ins Spekulationsgeschäft (z. B. Sprinter-Warrants, Mini-Futures) einsteigen. Das ist einfach nur teuflisch.
*Name geändert