Interview mit Botschafter: «Ich will nicht in einem System wie Iran leben»

Aktualisiert

Interview mit Botschafter«Ich will nicht in einem System wie Iran leben»

Der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten steht im Zentrum der Unruhen in Bahrain. Botschafter Naser Belooshi stellt sich den Diskriminierungsvorwürfen.

Kian Ramezani
von
Kian Ramezani
Schiiten demonstrieren am Donnerstag gegen die Regierung Bahrains. Anlass ist der Tod eines 15-Jährigen, der offenbar von der Polizei erschossen wurde.

Schiiten demonstrieren am Donnerstag gegen die Regierung Bahrains. Anlass ist der Tod eines 15-Jährigen, der offenbar von der Polizei erschossen wurde.

Die Lage in Bahrain am Persischen Golf bleibt angespannt. Täglich kommt es zu neuen Protesten der schiitischen Bevölkerung, die das sunnitische Königshaus der Diskriminierung beschuldigt. Mindestens 20 Menschen sind seit Beginn der blutigen Unruhen ums Leben gekommen. Der sunnitische König hatte kürzlich den Notstand ausgerufen und Soldaten aus befreundeten Staaten, darunter Saudi-Arabien, in das Land geholt, um die Proteste zu beenden und seine Herrschaft wieder zu sichern.

In einer Pressekonferenz in Bern legte Naser Belooshi, Botschafter Bahrains in Frankreich und der Schweiz, die Sicht seiner Regierung dar. 20 Minuten Online hatte im Anschluss Gelegenheit zu einem Gespräch. Darin ging es um die Unterschiede zwischen den Protesten in Bahrain und anderen arabischen Ländern, den Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten sowie die Angst vor einer Unterwanderung durch den Iran. Vor seiner Tätigkeit in Frankreich war Belooshi Botschafter in Washington.

20 Minuten Online: Was halten Sie von den Volksaufständen in der arabischen Welt?

Naser Belooshi: Was in Tunesien, Ägypten und Libyen passiert ist, war legitim. Die Menschen dort waren in einer schrecklichen Situation und lebten ohne Hoffnung. Ohne Hoffnung zu heiraten, eine Wohnung oder eine Arbeit zu finden. Wir leben in einer modernen Welt und es braucht ein System, das auf diese Bedürfnisse eingeht.

Unterscheiden sich diese Länder von Bahrain?

Ja, sehr. Libyen hat ein hohes Pro-Kopf-Einkommen, aber die Bevölkerung spürt nichts davon. In Tunesien ist es sehr niedrig, die Menschen wandern aus, genau wie in Ägypten. Bahrain ist damit nicht vergleichbar, wir haben ein hohes Bruttosozialprodukt, von dem die Menschen profitieren. Die Arbeitslosigkeit liegt bei unter vier Prozent und wir haben Arbeitslosengeld.

Vielleicht sind die Forderungen der Opposition eher politischer als wirtschaftlicher Natur?

Am Anfang ja. Doch dann merkten wir, dass sie andere Absichten haben und von aussen gesteuert werden.

Diese Ausrede kommt immer. In Ägypten waren es die Muslimbrüder, in Libyen Al Kaida und in Syrien eine ausländische Verschwörung.

Revolutionen haben immer zwei Ursachen: Wirtschaft und Politik. In Tunesien, Ägypten und Libyen gab es Armut und ein gescheitertes politisches System, das gewisse Parteien verbot und Wahlen fälschte. Das ist in Bahrain anders. Wir haben ausschliesslich religiöse Parteien in unserem Parlament, schiitische und sunnitische. Wir lassen das zu, weil wir wissen, dass niemand den anderen seine Ansichten aufzwingt. Leider haben die Demonstranten auf dem «Pearl Square» diesen Konsens aufgekündigt und forderten eine islamische Republik Bahrain. Das können wir nicht hinnehmen. Ich will nicht in einem System wie Iran leben.

Die Schiiten in Bahrain haben überhaupt keine legitimen Forderungen?

Doch, natürlich, und nicht nur sie, auch die Sunniten. Der Kronprinz selbst hat die Bevölkerung aufgefordert, ihm ihre Forderungen mitzuteilen. Später teilte er mit, 80 Prozent der Forderungen seien ähnlich und sollten in einem Dialog diskutiert werden. Daran sollen alle teilnehmen, nicht nur die Schiiten.

Vielleicht haben die Schiiten mehr Forderungen als die anderen.

Vielleicht, dann sollen sie ihre Forderungen vorbringen. Aber das ist nicht nur ihr Land. Es gibt auch Sunniten, Christen, Juden, Bahais. Bahrain ist ein Schmelztiegel und alle sind willkommen. Unsere erste Kirche wurde 1889 gebaut, unmittelbar neben einer Moschee. Wir respektieren alle, wie kann jemand behaupten, wir respektieren die Schiiten nicht?

Hohe Positionen in der Armee und in der Polizei bleiben ihnen verwehrt.

Das ist nicht wahr. Der Innenminister hat 20 000 freie Stellen in seinem Ministerium ausgeschrieben und sowohl Schiiten als auch Sunniten ermutigt, sich zu bewerben.

Es gibt schiitische Polizeipräsidenten und Armeegeneräle in Bahrain?

Natürlich, es gibt sie in der Polizei und sogar in der Armee. Sie werden akzeptiert.

Fakt ist, dass die Schiiten in Bahrain die Mehrheit stellen. Wieso sind sie trotzdem überall untervertreten?

Immer wird von dieser Mehrheit gesprochen, dabei haben wir in Bahrain keine Volkszählung, also kennen wir das exakte Verhältnis gar nicht. Es interessiert uns auch nicht. Wir beurteilen Menschen nicht nach ihrer religiösen Zugehörigkeit. Vielleicht gibt es sogar eine sunnitische Mehrheit, wer weiss. Wir wollen kein Land wie der Libanon werden, wo die Religionszugehörigkeit darüber entscheidet, was jemand tun kann und was nicht.

Wenn die Religionszugehörigkeit keine Rolle spielt, wieso hat dann jeder schiitische Abgeordnete, der sich 2010 zur Wahl stellte, auch gewonnen? Offensichtlich wird in Bahrain entlang der Religionsgrenzen gewählt.

Das stimmt. Sie traten in Gebieten an, die vor allem von Schiiten bewohnt werden. Die Sunniten hatten dort gar keine Kandidaten aufgestellt, weil sie ohnehin keine Chance gehabt hätten. Wir sollten dieses Phänomen auf jeden Fall untersuchen, um das Wahlverhalten unserer Bürger besser zu verstehen.

Angeblich entfällt auf 4000 Sunniten ein Volksvertreter. Bei den Schiiten sind es hingegen 12 000 auf einen Volksvertreter.

Ich bin kein Experte, aber die Wahlbezirke in Bahrain nehmen keine Rücksicht auf die Bevölkerungszahl. Das ist übrigens eine der Forderungen an den Kronprinzen, die ich vorher erwähnt hatte. Das muss angesprochen, diskutiert und gelöst werden.

Sind die vergangenen zehn Jahre seit der Verfassungsreform genutzt worden, um solche Fragen zu behandeln?

Ich glaube, die Forderungen haben sich im Vergleich zu früher verändert. Es gab politische Reformen in den vergangenen Jahren. Wir hatten drei Wahlen, 2002, 2006 und 2010. Ich finde, das ist ein Erfolg. Nicht ein einziges vom Parlament verabschiedetes Gesetz wurde vom König annulliert. Unsere Verfassung ist offen für Veränderungen, ausser bei drei Dingen: Staatsreligion ist der Islam, Landessprache ist Arabisch und unsere Staatsform ist die konstitutionelle Monarchie.

Könnten die Proteste nicht ein Zeichen der Frustration sein, dass die Reformen zu langsam vorankommen?

Nicht, wenn sie gewalttätig sind, wenn Menschen getötet oder in ihren Häusern angegriffen werden. Wieso zerstören sie die Schulen, in denen ihre Kinder lernen? Solche Einrichtungen muss man respektieren. Warum trampeln sie auf einem Porträt des Königs herum? Das ist kein zivilisiertes Benehmen. Wenn es Frustration gibt, müssen wir einen Dialog beginnen. Dieses Land gehört nicht den Schiiten, es gehört allen. Nie zuvor haben wir so viel Verunsicherung und Spaltung in unserer Gesellschaft gesehen.

Haben Sie sich zuvor in einer falschen Sicherheit gewähnt und Unzufriedenheit übersehen?

Sogar wenn es so wäre, die Mehrheit der Menschen wollen eine Arbeit, ein Haus, ein Auto. Das ist es, was sie wollen.

Wenn Sie den Menschen all dies gegeben haben, ist es dann nicht unausweichlich, dass sie vermehrt politische Rechte einfordern?

Vielleicht. Aber nochmals: Wir haben gesagt, lasst uns wie zivilisierte Menschen an einen Tisch sitzen und diese Dinge diskutieren. Doch das ist sehr schwierig, wenn iranische Fernsehsender ununterbrochen Lügen verbreiten und unsere Schiiten aufstacheln.

Warum sollten die Schiiten Bahrains den iranischen Fernsehsendern glauben?

Weil sie es ihnen sagen. Sie haben Bilder in den Krankenhäusern mit künstlichem Blut manipuliert. Heutzutage kann man jegliche Bilder manipulieren.

Wie kann es in der bahrainischen Gesellschaft Einigkeit geben, wenn die schiitische Bevölkerung ständig der Kollaboration mit Iran beschuldigt wird?

Nicht alle Schiiten, nur eine kleine Gruppe. Wir lassen ihnen eine vernünftige Wahl: Sie können sich Iran anschliessen oder aber sich mit uns an den Tisch setzen und mit uns sprechen. Wenn sie nicht kommen, werden andere ihren Platz einnehmen. Wenn sie das Gesetz brechen, werden sie bestraft. Kollaboration mit einer ausländischen Macht ist Hochverrat. Im Chaos kann es keine Zivilisation geben. Die gibt es nur, wenn Recht und Ordnung herrschen.

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