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Sterbehilfe-Debatte«Ich will über meinen Tod entscheiden»

Nach dem Fall der im Februar gestorbenen Koma-Patientin Eluana Englaro geht in Italien die heftige Debatte zum Thema Sterbehilfe weiter. Für Aufsehen sorgt jetzt der seit Jahren an multipler Sklerose leidende Paolo Ravasin.

Er argumentiert in einer Videoaufnahme an Staatschef Giorgio Napolitano sowie an die Präsidenten von Abgeordnetenkammer und Senat gegen die Verabschiedung eines umstrittenen Gesetzes über die Einführung einer Patientenverfügung in Italien.

«Niemand darf mir die einzige Freiheit nehmen, die mir bleibt: über meinen Tod zu entscheiden», fordert der in der norditalienischen Stadt Treviso lebende Ravasin. Der 49-Jährige ist seit vier Jahren komplett gelähmt und muss künstlich beatmet werden. Er verlangt, dass jegliche Therapie für ihn abgebrochen wird, sollte sich sein Zustand verschlechtern.

Ravasin protestiert gegen das vom Senat bereits verabschiedete Gesetz, das die Ablehnung der künstlichen Ernährung und der Flüssigkeitszufuhr bei Patienten im Endstadium einer Krankheit verbietet. Er kritisierte, dass die Patientenverfügung, die das Gesetz einführt, für Ärzte nicht bindend ist.

Jegliche Form von Sterbehilfe verboten

Das Gesetz, das nach dem Tod Eluana Englaros verfasst wurde, muss noch von der Abgeordnetenkammer gebilligt werden. Die Vorlage verbietet jegliche Form von Sterbehilfe, untersagt auch zugleich allen Pflegepersonen, lebenserhaltende Massnahmen wie Nahrung und Flüssigkeitszufuhr abzubrechen.

Dem Gesetz zufolge dürfen Italiener eine Patientenverfügung vorlegen, in der sie ausdrücklich festhalten, dass sie im Endstadium einer Krankheit künftig Therapien ablehnen, wenn die Aussicht auf Genesung offenkundig gering ist. Die Verfügung, die drei Jahre lang gültig ist, wird für die behandelnden Ärzte jedoch nicht verbindlich sein.

Kritiker der Gesetzesvorlage wendeten ein, dass das Gesetz das Recht auf Selbstbestimmung verletze. Der oppositionelle Senator und Ex-Gesundheitsminister Umberto Veronesi kündigte eine Initiative für eine Volksabstimmung an, um das Gesetz auf diesem Wege zu kippen, sollte es auch im Abgeordnetenhaus gebilligt werden.

Heftige Debatte

Der Entwurf wurde auch von dem Vater Eluanas, Beppino Englaro, scharf kritisiert. Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte vor dem Tod Englaros im Februar die Haltung des Vatikans unterstützt, wonach die Versorgung der Koma-Patientin auch nach 17 Jahren nicht hätte beendet werden dürfen.

Englaro stand jahrelang im Mittelpunkt einer kontroversen Debatte über Sterbehilfe. Nach einem Urteil des Verfassungsgerichts zugunsten der Sterbehilfe hatte ihre Familie die Ärzte gebeten, die künstliche Ernährung der Patientin zu reduzieren, um sie dann sterben zu lassen. Sie starb am 9. Februar im Alter von 38 Jahren.

(sda)

Multiple Sklerose (MS oder Enzephalomyelitis disseminata)

Die Gründe für das Auftreten der Autoimmunerkrankung sind bisher unklar. In der Schweiz sind rund 10 000 Menschen von MS betroffen. Obwohl weltweit an wirksamen Medikamenten zur Heilung der MS geforscht wird, kann bisher nur der Verlauf der Krankheit begünstigt werden. Zu Beginn der Erkrankung verläuft die MS meist in Schüben, bei denen das Immunsystem die Nervenstränge angreift. Das Myelin - die Isolationsschicht der Nerven - wird durch Entzündungsherde im Gehirn oder dem Rückenmark punktuell abgetragen. Die Leitfähigkeit der darunterliegenden Nerven wird angegriffen oder sogar zerstört. Diese Herde - auch Läsionen genannt - können sich beim Betroffenen mittels unterschiedlichster Symptome äussern: Besonders häufig kommt es zu Sehstörungen oder Erblindung, Sensibilitätsstörungen oder Lähmungen der Extremitäten. Oft erfahren die Patienten wenige Wochen nach Auftreten des Symptoms eine deutliche Besserung oder sogar eine vollständige Ausheilung des Schubes. Bisher kann nur in den Verlauf einer Multiplen Sklerose eingegriffen werden. Hierfür stehen dem Patienten Medikamente (Immunsuppressiva) zur Verfügung, die das fehlgeleitete Immunsystem, das den eigenen Körper angreift, regulieren. Kortison (meist in Form einer hochdosierten Infusion) soll dazu beitragen, dass ein akuter Schub verkürzt wird.

(rre)

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